Eishockey gilt als Inbegriff von Männlichkeit. Spuren weiblicher Eishockey-Aktivitäten in der Schweiz lassen sich aber bis zurück in die Pionierzeit des Sports verfolgen. Eishockey ist ein Paradebeispiel für die kulturelle Bedingtheit von sportlichen Geschlechtercodierungen.
Eishockey-Teams inszenieren sich als Männerbünde par excellence. Machistische Praktiken auf und neben dem Eis wie Schlägereien, Playoff-Bärte und Initiationsrituale festigen die geschlechtsmässige Codierung des Eishockeys und übertragen sie auf Zuschauer und Medien. Selbst im Sponsoring schlägt sich dies nieder: In den letzten Jahren warben mehrere Teams für Erotikartikel-Händler, der EHC Thurgau gar für ein lokales Bordell. Indessen finden sich seit über hundert Jahren Versuche von Eishockeyspielerinnen, in die männliche Domäne einzudringen.
Angelsächsische Anfänge im Grand Hotel
Weibliche Eishockey-Aktivitäten finden sich bereits in der Pionierphase der Belle Époque. Ab den 1880er-Jahren etablierte sich das Eishockey aus dem angelsächsischen Raum kommend einerseits in elitären Internaten am Genfersee, andererseits in Winterkurorten der Waadtländer Voralpen und Graubündens. Der soziale Ort des frühen Fraueneishockeys war das Grand Hotel, seine Protagonistinnen britische Touristinnen aus gehobenen Kreisen. Die damaligen Diskurse über wintersportliche Aktivitäten von Frauen waren ambivalent. Einerseits erschienen sie ob der gesunden Alpenluft als ein Mittel gegen die sprichwörtliche weibliche Kränklichkeit. Andererseits wurden angebliche Gefahren für die reproduktiven Kapazitäten sowie Schicklichkeitsbedenken veranschlagt. Diese Einwände vermochten eissportliche Aktivitäten von Touristinnen nicht zu verhindern. Von 1903 existiert ein Foto aus St. Moritz, das Damen und Herren beim Spiel der englischen Eishockey-Variante Bandy zeigt. Zwei Jahre später fand in Leysin vor zahlreichen Schaulustigen eine Partie zwischen männlichen und weiblichen Hotelgästen statt, die unentschieden endete. Einige Wochen darauf gab es ein Bandy- Spiel zwischen den besten Schlittschuhläuferinnen von Leysin und Montreux. Diese frühe weibliche Beteiligung war kein Einzelfall. Ein Führer zum Wintertourismus in der Schweiz von 1910 wies speziell darauf hin.
Die Institutionalisierung des Eishockeys in heimischen Vereinen ging aber ohne weibliche Beteiligung vonstatten. Während manche Turnvereine seit den 1890er-Jahren Damenriegenführten, blieben Frauen aus den Eishockeyklubs ausgeschlossen. Ab dem Ersten Weltkrieg war Eishockey in der Schweiz ein Männersport. Es wurde geradezu zu einem Symbol alpiner Maskulinität, als von den 20er- bis 50er-Jahren die Bündner Vereine die Meisterschaft fast nach Belieben dominierten. Der zeitgleich mit der schweizerischen Aneignung vollzogene Wechsel vom Bandy zum schnelleren und härteren kanadischen Eishockey vermag diesen Verdrängungsprozess nicht zu erklären. Gerade in Kanada war Fraueneishockey schon in den 1890er-Jahren aufgekommen. Wie bei anderen Disziplinen war es nicht die physische Aktivität, die das Eishockey zu einem «Männersport» machte, sondern kulturelle Festlegungen. Diese sollten in den folgenden Jahrzehnten indessen sporadisch herausgefordert werden.
Französisches Strohfeuer in der Zwischenkriegszeit
Nach den Erschütterungen des Ersten Weltkriegs entwickelten sich in den Roaring Twenties modernistische Rollenbilder wie
die «Neue Frau» und das «Sportgirl». Frauen aus gehobenen Gesellschaftsschichten probierten alle möglichen Sportarten aus: Leicht- und Schwerathletik, Skispringen, Alpinismus, Automobilsport, Fussball oder Eishockey. Unter dem Druck mehrfach ausgetragener Frauen-Weltspiele, an denen 1921 und 1922 auch Schweizerinnen teilnahmen, wurden 1928 Frauen an den Olympischen Spielen zur Leichtathletik zugelassen, nachdem sie vorher nur beim Golf, Segeln, Tennis, Eislauf und Schwimmen mitmachen durften.
In Nordamerika entstanden Eishockey-Wettbewerbe für Damen und auch in Europa fasste das Fraueneishockey vorübergehend Fuss. In Frankreich fand von 1930 bis 1937 ein Meisterschaft statt, in England entstanden Vereine. Die Internationale Eishockey-Föderation vertagte aber 1930 einen Entscheid über die Einführung von Frauen-Wettbewerben auf den Sankt-Nimmerleinstag. Der führende französische Damenverein Droit au But Paris hatte seinen zweiten Sitz im Waadtländer Winterkurort Villars. So reiste 1931 der Manchester Ladies’ Ice Hockey Club zu einer Partie gegen Droit au But in die Schweiz; im folgenden Jahr kamen die London Lambs. 1935 trat Droit au But in Villars gegen das Herrenteam des Wiener Athletiksport Club an, wenige Tage darauf in Lausanne gegen das lokale Herrenteam. Die Veranstalter priesen die Partie folgendermassen an: «Le hockey sur glace, spectaculaire au premier chef, gagne encore en attrait à être pratiqué par une équipe féminine» (Gazette de Lausanne, 26.1.1935). Das Vorbild der Pariserinnen scheint aber keine einheimische Nachahmung gefunden zu haben. Im Zuge der Popularisierung des Eissports im Mittelland nach der Zürcher «Seegfrörni» 1929 und dem darauffolgenden Bau von Kunsteisanlagen in den meisten Städten begeisterte sich zwar die männliche Jugend zunehmend für das «Chneblen» – die Mädchen aber eiferten dem Ideal der «Eisprinzessin» nach.
Die Vorstellungswelt der Geistigen Landesverteidigung reproduzierte dann die traditionellen Vorbehalte gegen den Frauenleistungssport: Der Sportpavillon an der Landesausstellung 1939, der in die Themen Lebenstüchtigkeit, Vom Spiel des Kindes zum Wettkampf des Mannes, Höchstleistungen und Sport als Befruchter der Wirtschaft gegliedert war, blendete den Frauensport weitgehend aus. Im Programmheft räsonierte eine Journalistin darüber, welche sportlichen Betätigungen Schweizer Frauen geziemten. Sowohl «modisches Girltum» als auch «rekordsüchtiges Nursportlerwesen» lehnte sie ab – «solche Extratouren überlassen wir den Amerikanerinnen». Jedoch sollten die Schweizerinnen «in schönen, ungehinderten Bewegungen aus sich selber herausgehen und in Luft und Sonne zu einem kernigen, anmutigen Geschlecht werden. Denn in unserer prächtigen Schweiz müssen Frauen und Mädchen wohnen, deren Körper stark und deren Seelen aufrecht sind. Nur so können sie gesunde Mütter von gesunden Kindern sein.»
Aufschwung, Institutionalisierung und Probleme
Ab dem Zweiten Weltkrieg verschwand das Fraueneishockey in Europa für drei Jahrzehnte. Erst die gesellschaftlichen Erschütterungen durch neue soziale Bewegungen und die zweite Welle des Feminismus ab den 60er-Jahren manifestierten sich auch im Sport, etwa in einem Aufschwung des Frauenfussballs um 1970. Ab den frühen Siebzigern entstanden in Europa auch wieder Fraueneishockey-Teams, zunächst vor allem in Skandinavien. In den Achzigern führte ein bescheidener Boom zur Einrichtung von Meisterschaften in verschiedenen europäischen Ländern. Nach einer inoffiziellen WM 1987 fanden 1989 die erste EM und im Folgejahr die erste offizielle WM statt.
Ins olympische Programm wurde das Fraueneishockey erst 1996 aufgenommen – 76 Jahre nach dem Männereishockey. Das Eishockey war damit kein Einzelfall: Während beim Volleyball Männer- und Frauenturnier 1964 gleichzeitig eingeführt wurden, klafften bei Disziplinen mit physischem Kontakt Jahrzehnte zwischen dem ersten Männer- und Frauenwettkampf: beim Basketball und Handball 40 Jahre, beim Landhockey 72, beim Fussball 96, beim Wasserball 100 und beim Rugby gar 116 Jahre! Die zugrundeliegenden Vorstellungen von kämpferischer Maskulinität und zarter Weiblichkeit manifestieren sich beim Eishockey auch in Regelunterschieden: Während bei den Männern Bodychecks zu den Attraktionen des Spiels gehören, wurden sie bei den Frauen 1990 verboten. Dasselbe gilt für das Drücken gegen die Bande. Für Frauen sind Gesichtsschutze vorgeschrieben, bei den Männern nur im Juniorenbereich. Während das Rollenbild des rauen männlichen Helden zugunsten des Spektakels Verletzungen zu rechtfertigen scheint, überwiegt in Bezug auf die Frauen paternalistisches Sicherheitsdenken.
Der erste Fraueneishockey-Verein der Schweiz wurde 1980 in Fribourg aus der Taufe gehoben. Bis 1984, als der Verband das Fraueneishockey anerkannte, kamen acht weitere Teams dazu. 1985 wurde ein Meisterschaftsbetrieb aufgenommen und ab den späten 80er-Jahren waren Schweizer Eishockeyanerinnen auch auf der internationalen Bühne präsent. Eine Umfrage unter 141 Eishockey-Vereinen ergab 1986, dass 54 Prozent dem Fraueneishockey gegenüber positiv eingestellt waren und nur ein Viertel negativ. Allerdings konnte sich lediglich ein Drittel vorstellen, selbst eine Damensektion zu eröffnen. Der damalige Präsident des Schweizerischen Eishockey-Verbandes und heutige Vorsitzende der Internationalen Eishockey Föderation, René Fasel, rekurrierte im selben Jahr in einem Interview auf gängige Geschlechterstereotypen: «Eishockey ist ein für Frauen ungeeigneter Sport. Es ist kein Damensport. Die Frau ist etwas Zierliches, Elegantes, Schönes, Feines, und Eishockey entspricht nicht diesem Bild. Der Mann als Fighter, Kämpfer und Jäger passt in die Rolle des Eishockeyspielers. Die Eishockeynatur steht im Gegensatz zur Frauennatur.»
Bis heute umstritten
Nach der Jahrtausendwende blieb das Schweizer Fraueneishockey meilenweit vom Eishockey-Business der Männer entfernt. 2009 waren lediglich 250 Spielerinnen lizenziert gegenüber 25‘000 Spielern. Finanzielle Probleme und Spielerinnenmangel führten wiederholt zum Rückzug auch prominenter Teams. Während manche Männerteams ihre jährlichen Millionendefizite von potenten Mäzenen gedeckt erhalten, konnten sich Frauenteams verschiedentlich nur dadurch über Wasser halten, dass sie sich für Aktkalender entkleideten. Hinzu kommt ein bescheidener Zuschauerzuspruch: Selbst bei der WM 2011 in Zürich und Winterthur sowie dem Champions Cup im selben Jahr in Lugano zogen die meisten Spiele nur ein dreistelliges Publikum an. Die geringen Zuschauerzahlen sind auch einer bis vor kurzem kaum existenten medialen Beachtung geschuldet. Wenn über Fraueneishockey überhaupt berichtet wurde, ging es häufig um dessen Legitimation. Ein ausführlicher Artikel im Bund vom 17. April 2009 stellte im Lead die Frage: «Muss das wirklich sein, Fraueneishockey?», setzte Zwischentitel wie «Der Hauch einer Schlägerei» und «Spielzüge wie in Zeitlupe» und erwähnte die im Fraueneishockey im Unterschied zum Volleyball «zu vernachlässigenden optischen Reize».
Dass sich unter solchen Bedingungen viele Spielerinnen nach der Juniorinnenzeit vom Eishockey abwenden, erstaunt nicht. Und von denen, die es an die Spitze schafften, sind viele ins Ausland gegangen. Ab Mitte der 90er-Jahre spielten rund drei Dutzend Schweizerinnen in Nordamerika, Schweden oder Deutschland – eine angesichts der geringen Zahl lizenzierter Spielerinnen enorme Zahl.
Zum Autor
Christian Koller ist Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs und Titularprofessor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Er lehrt und forscht zur Geschichte von Rassismus und Nationalismus, sozialen Bewegungen, Gewaltgeschichte, Erinnerungskulturen, Historischer Semantik und Sportgeschichte. Er ist Vize-Präsident des Vereins Schweizer Sportgeschichte (VSSG) und Mitglied des interdisziplinären Center for Research in Sports Administration (CRSA) der Universität Zürich.
Titelbild: Bandy-Spiel in St. Moritz, 1903. Quelle: zvg.