Dem Mittelbau den Puls fühlen

27 Fragen, 47 Antworten, ein guter Rücklauf – und (wahrscheinlich) niemand aus der Antike: Die wichtigsten Hintergründe zur etü-Mittelbau-Umfrage. Und als Zugabe die eindrücklichsten Zahlen und die schärfsten Voten.

Wie zufrieden seid Ihr? Das wollte der etü von allen HS-Mittelbauangehörigen per Online-Umfrage wissen. Die Umfrage wurde mit Flyern beworben und per Mail an 95 Mittelbauangehörige geschickt: an die (Ober-)Assistierenden sämtlicher Lehrstühle sowie an Drittmittelangestellte, Projektmitarbeitende und anderweitig am HS ansässige Doktorierende (Stand Ende 2019).

Der Rücklauf war – verglichen mit anderen universitären Umfragen, wie beispielsweise einer uniweiten Mittelbau-Umfrage von 2017 (ca. 12 Prozent) – sehr hoch. Fast die Hälfte aller angeschriebenen Personen füllten den Fragebogen ganz (37) oder teilweise (10) aus. Keine der Fragen musste zwingend beantwortet werden, weshalb die Anzahl gegebener Antworten von Frage zu Frage variiert, meist zwischen 30 und 40. Die Frage zur Zufriedenheit wurden in einer Fünfer-Skala gestellt. Im Text werden Werte von 1-2 als «unzufrieden» beschrieben, 2-3 als «mittelmässig bis unzufrieden», 3-4 als «mittelmässig bis zufrieden» und 4-5 als «zufrieden». Die allgemeine individuelle Zufriedenheit beispielsweise beträgt im Schnitt 3.6, die wahrgenommene Zufriedenheit am HS insgesamt 3 (Stand 21. Januar 2020).

Repräsentativ oder nicht?

Die Ergebnisse widerspiegeln die Erfahrung der Teilnehmenden und die darin gemachten Aussagen wurden nicht vollständig überprüft. Eine Selektions-Bias ist nicht auszuschliessen: Es ist möglich, dass besonders unzufriedene oder sehr zufriedene Doktorierende übervertreten sind. Die Verteilung der Teilnehmenden auf Anstellungstypen, Anstellungsdauer und Zeitbereiche entspricht jedoch grösstenteils derjenigen am HS. Der grösste Teil sind (Ober-)Assistierende (21), doch auch Doktorierende mit SNF-Stipendium (3) und Projektangestellte (7) füllten den Fragebogen aus (keine Angabe: 10).

Auch bei der Anstellungsdauer gibt es keine Anzeichen für Verzerrungen. Gemessen an der Grösse der Zeitbereiche, fällt die Verteilung über Mittelalter (5) und Neuzeit (19) zudem relativ repräsentativ aus. Nur bei der Antike zeigt sich ein anderes Bild. Keine Person, die dort doktoriert, füllte den Fragebogen aus – oder tat es (wie 16 Teilnehmende), ohne Angaben über ihren Zeitbereich zu machen.

Update: «NZZ am Sonntag» berichtet über etü-Recherchen
Das Historische Seminar ist kein Einzelfall: Die «NZZ am Sonntag» hat die Recherchen des etü aufgenommen und zeigt in ihrem Artikel, dass problematische Arbeitsbedingungen den Mittelbau in der ganzen Schweiz betreffen, gerade in den Geisteswissenschaften. Der durchschnittliche Beschäftigungsgrad variiert jedoch von Uni zu Uni beträchtlich – von 93% an der ETH Lausanne bis zu 45% an der HSG in St. Gallen. Zum Artikel von Inlandredaktor René Donzé geht es hier.

Die Situation des Mittelbaus in Zahlen

Sie sagen manchmal mehr als Worte: Die eindrücklichsten numerischen Befunde aus der etü-Umfrage.

18.24 %

So viel Arbeiten Mittelbauler mehr für Lehre und Lehrstuhl als es ihr Pensum vorsieht

4’200 CHF

Das ist der mittlere monatliche Bruttolohn, vor allem bei Assistierenden liegt er tiefer

3’300 CHF

Der tiefste angegebene Lohn (für ein 50%-Pensum)

75 %

So viele der Befragten arbeiten manchmal, oft oder sehr oft über ihrem Pensum

47 %

So viele der Befragten sind sich schon ausgebeutet vorgekommen

Stimmen aus der Mittelbau-Umfrage

Neben den numerischen wurden auch die offenen Fragen Rege beantwortet. Eine Auswahl.

«Alle Mitellbauangehörigen sollten 100% angestellt sein. Es ist nicht okay, dass alle Profs und viele Leute im Zentraldienst grössere Anstellungsprozent haben, wenn fast alle Assistierende 50 oder 60% angestellt sind.»

«Ich bin nicht unglücklich, da ich es als Privileg ansehe, bezahlt zu werden, um zu forschen. Jedoch ist es schon irritierend, wenn ich meinen Lohn und meinen Status mit dem meiner Betreuungsperson vergleiche. Ausserdem hatte ich gerade Besprechung mit meiner Betreuungsperson und sie hat sich noch nicht mal die Mühe gemacht, meinen Text zu lesen… Das macht hässig.»

«Sofern man die Betreuungsperson nicht wechseln will, ist es eigentlich unmöglich, sich zu beschweren, denn man ist und bleibt abhängig von seiner Betreuung und will diese wohl nicht gegen sich aufbringen.»

«Der Mittelbau als Kollektiv ist sehr brav geworden. Man nölt rum, macht aber keinen Radau – es wird keine grundlegende Kritik geäussert. JedeR scheint sich selbst am nächsten zu sein.»

Die Übersichtsgrafik zur etü-Umfrage

Lesebeispiel: Die Stimmung am Lehrstuhl wird von den ausgewählten Indikatoren am positivsten bewertet – mit einem Zufriedenheitswert über 4. Die Möglichkeit, sich bei Problemen an die Prodekanin zu wenden, dagegen am negativsten. Mittelmässige Zufriedenheit herrscht etwa beim Lohn.

Der etü-Mittelbau-Report
Gratisarbeit, Abbrüche, schlechte Betreuung: Nachwuchsforschende sind unter Druck – auch am Historischen Seminar. Über ein halbes Jahr haben wir dazu recherchiert, unzählige Gespräche geführt, Dokumente ausgewertet, eine Umfrage auf die Beine gestellt – und dabei einiges zutage gefördert.
Hier geht es…
… zum Haupttext «Einzelfälle mit System».
… zum Interview mit Seminarvorstand Simon Teuscher.
… zu den Details der etü-Umfrage.
… zu vier Dokumenten, die wir erstmals veröffentlichen.

Weitere Hinweise an: mittelbau@etue.ch