Draussen ist es gewöhnlich ungewöhnlich ruhig. Texte bleiben ungelesen liegen. Und irgendwie haben alle Geburtstag. Ein Bericht von Jana Kierysch, Studentin der Geschichte und Englisch im 2. Bachelorsemester.
10:14 – Mittlerweile fühlt sich jeder Tag wie der vorherige an. Ich stehe auf, ich esse Frühstück und überlege mir dabei, was ich heute erledigen muss.
Dann setz ich mich an meinen Schreibtisch, und beginne zu arbeiten. Die Vorbereitungen auf die Videopräsentation morgen laufen seit ein paar Tagen. Das Referat muss nicht besonders lang sein und das Thema ist auch nicht ausserordentlich komplex, jedoch fürchte ich mich vor dem Versagen der Technik. Aber bis jetzt funktioniert alles, wie es soll. Noch. Mir fehlt weiterhin ein Text zur Vertiefung des Themas und mir wird klar, ich brauche mehr Kaffee.
14:34 – Die Videokonferenz verpasse ich. Mein Gegenüber verpasst sie auch. Wir einigen uns darauf, sie auf nächste Woche zu verschieben.
19:52 – Der Tag verlief gewöhnlich ungewöhnlich ruhig. Meine Nachbarschaft war nie laut, doch seit ein paar Wochen ist die Stille erdrückend. Trotz den angenehmen Temperaturen sind keine Kinder draussen. Alles was man hört ist das Brummen der Insekten durch das geöffnete Fenster. Vielleicht sollte man sich mal um das potentielle Wespennest auf dem Balkon kümmern.
20:05 – Plötzlich ist es Abend und mein Vertiefungstext liegt weiterhin ungelesen auf meinem Schreibtisch.
8:42 – Ich bin früh aufgestanden, um meiner Mutter zum Geburtstag zu gratulieren. Über das Telefon klingt sie selber noch ganz verschlafen, aber immerhin hat sie heute frei. Es zerrt ein wenig an meiner Laune, dass ich sie nicht sehen kann, aber sie hat mir versprochen, den verpassten Geburtstag bei einem Essen nachzuholen, sobald die Restaurants wieder aufmachen. Vielleicht sollte ich meine Reservation jetzt schon machen.
12:12 – Das Referat lief gut. Das Internet entschied sich gnädigerweise erst auszufallen, als wir den Vortrag schon beendeten hatten und es um das Feedback ging. Es fühlt sich seltsam an, eine Powerpoint-Präsentation zu halten, wenn du sonst niemanden siehst oder hörst und du ganz genau weisst, die anderen sehen und hören dich. Danke nochmal an Edina für die wunderbare Mitarbeit!
17:42 – Heute stolpere ich von einer Sitzung in die Nächste. Proseminar, Introling, etü-Sitzung. Zwischendurch musste ich noch eine Vorlesung nachholen. Mir wird bewusst, wie sehr ich die Zeit an der Uni vermisse und wie schwer es mir fällt, die nötige Disziplin aufzubringen, um alles zu erledigen und nicht in einen ewigen Teufelskreis der Prokrastination hineinzufallen. Was mir am meisten fehlt, sind die Gespräche in den Pausen. Geschichte lebt wirklich davon, dass sie erzählt wird.
11:43 – Meine Bücherbestellung aus der ZB ist angekommen. Darunter befinden sich eine Ray Bradbury-Kollektion, ein Buch über «Literatures of Memory» und eine Fotokopie aus einem Sammelband über Nachkriegsliteratur. Darin verlieren kann ich mich noch nicht. Keine Zeit. Davon scheine ich in den letzten Wochen sowieso weniger zu haben als sonst. Das hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass ich zu viel Zeit mit Podcasts verbringe und dabei nicht wirklich produktiv bin.
19:58 – Die Einsicht, dass wir in vier Wochen Abschlussprüfungen schreiben, setzt langsam ein. Auch die Tatsache, dass ich bis dahin noch zwei Essays schreiben muss, hilft nicht wirklich dabei, die wachsende Nervosität aufzuhalten. Von den Unsicherheiten was die Prüfungsumstände betrifft ganz zu schweigen.
00:03 – Ich kann meinen Vater in der Küche den Kühlschrank öffnen hören. Ein kurzer Blick auf die Uhr und ich stehe auf, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren.
11: 32 – Den Öffentlichen Verkehr zu nutzen, ist mir weiterhin äusserst unangenehm. Ausser mir und dem Busfahrer befindet sich niemand in der Linie 650. Wäre es nicht für einen Geburtstagskuchen, wäre ich zu Hause geblieben und hätte… ja was hätte ich stattdessen getan? Nichts vermutlich. Ein Monument aus Blumen ziert den Dorfplatz. Auf dem Schild in der Mitte steht geschrieben: «Wir sagen’s mit Blumen und schenken Ihnen damit hoffentlich etwas Freude.» Gefreut habe ich mich tatsächlich.
15:40 – Schreibübungen sind cool. Schreibübungen machen Spass. Ich vermisse meine MitstudentInnen.
16:12 – Kurz vor meinem letzten Seminar für heute rufen mich meine Freundinnen an. Es ist zu einem Ritual geworden, während der Zoom-Sitzung des Seminars auf Teams zu telefonieren. So fühlt es sich wenigstens ein bisschen so an, als sässe man nebeneinander im Klassenzimmer. Besonders die Pausen fühlen sich dann nicht so einsam an.
8:48 – Ich hab mächtig Kopfschmerzen.
12:09 – Es ist einer solcher Tage in denen der Kopf leer ist, man fühlt sich unwohl und das Leben scheint einen erdrücken zu wollen. Das Licht der Bildschirme erscheint etwas greller als sonst und tut fast weh in den Augen. Ich glaube, ich leg mich wieder hin. Produktivität kann ich heute vergessen.
15:42 – Ibuprofen hat nur mässig geholfen. Meine beste Freundin hingegen steht mir mit Hausmitteln und Erfahrungen aus der Pflege zur Seite. Und natürlich bringt sie mich zum Lachen.Ich merke, wie viele Menschen um mich herum, inklusive mir, in ungesunde Verhaltensmuster fallen. Man schläft kaum, isst zu unregelmässigen Zeiten, verbringt gezwungenermassen viel Zeit vor dem Handy oder dem Computer und vernachlässigt die eigenen Hobbies. Die Routine, die vor der Quarantäne ganz natürlich entstand, muss nun erzwungen werden, was offensichtlich nicht immer funktioniert.
21:24 – Ich zwinge mich, früh ins Bett zu gehen.
10:45 – Ich finde es weiterhin sehr ironisch und äusserst lustig, dass bereits zwei meiner Module angekündigt haben, die Prüfungen auf OLAT durchzuführen, obwohl auf der Startseite von OLAT ausdrücklich und rot markiert steht, dass davon abgeraten wird.
Ich bin gespannt wie gut das funktionieren wird.
12:40 – Ich verspüre noch immer einen Anflug von Kopfschmerzen. Vielleicht sollte ich mein Büro auf den Balkon verschieben, um wenigstens etwas frische Luft zu bekommen. Ab Montag machen die Läden wieder auf. Ein wenig beunruhigen tut es mich schon. Ich muss an ein Gespräch denken, das ich kürzlich hatte. Dabei ging es um die Spanische Grippe, welche in drei Wellen um die Welt ging. Die zweite war am schlimmsten. Nun bleibt zu hoffen, dass man sich weiterhin verantwortungsbewusst verhält.
13:45 – Ich hab gestern den Geburtstag einer ehemaligen Schulkameradin vergessen. Wieso auch immer alle zur gleichen Zeit Geburtstag haben müssen. Aber immerhin ist es nicht ganz untergegangen
10:00 – Sonntag wird ausgeschlafen. Auch in Zeiten von Corona. Auch wenn mir die Prüfungsvorbereitung noch immer im Nacken sitzt. Vielleicht sollte ich beim Mittagessen durch meine Zusammenfassung blättern.
13:09 – Alle Geburtstagsgeschenke werden verpackt und sie nächste Woche zur Post bringen zu können. Das alles wäre mit persönlicher Übergabe natürlich sehr viel einfacher. Und schöner.
15:14 – Mein Kalender hat mich gerade daran erinnert, dass ich nächste Woche ein Handout über Kulturgeschichte anfertigen muss. Wieder wird mir klar, dass ich dringendst eine physische Agenda brauche. Das mit dem Handy nervt mich langsam.
Studieren in Zeiten von Corona: Der etü schreibt Tagebuch
COVID19 hat unser Leben ziemlich auf den Kopf gestellt. Wie lebt es sich als Geschichtsstudent_in im Lockdown? Die etü-Redaktion erzählt in einer Corona-Serie aus ihrem Alltag.
Hier geht es…
… zu Teil I: Tocotronic lügt!
… zu Teil II: Sauerteig, Seneca und Sorgenweltmeister
…zu Teil III: Auf fünfzig Quadratmetern eine ganze Welt
…zu Teil IV: Quarantänegeburtstage
…zu Teil V: Dem Trotz entfliehen
…zu Teil VI: Nach dem Lockdown der Kater?
…zu Teil VII: Tatendrang aus Leistungszwang