Unzufriedenheit, Gratisarbeit, schlechte Betreuung: Tut das Historische Seminar genug gegen die Probleme des akademischen Nachwuchses? Co-Seminarvorstand Simon Teuscher nimmt zu den etü-Recherchen Stellung.
Etü: Unsere Recherchen zeigen: Es gibt am HS Fälle von schlechter Betreuung, die zu Diss-Abbrüchen führen. Viele Doktorierende müssen weit über ihrem Pensum arbeiten, manche werden abgestraft, wenn sie dazu nicht bereit sind. Tun Sie als Seminarvorstand genug, um solche Fälle zu verhindern?
Simon Teuscher: Wenn man das Ergebnis Ihrer Umfrage anschaut offenbar nicht. Zwar freut es mich, dass die Zufriedenheit im Durchschnitt überwiegt. Aber es ist klar: Da bestehen auch jenseits von Einzelfällen Probleme, über die sich der Vorstand Gedanken machen muss. Insbesondere das Ergebnis, wonach rund 20% Überzeit pro Woche für Lehre und Lehrstuhlaufgaben verbreitet sein sollen, gibt mir zu denken. Das müssen wir unbedingt konkreter untersuchen. Und wenn wir auf ähnliche Resultate kommen wie Ihre Umfrage, dann muss etwas geschehen.
Was denn?
Es wäre verfrüht, sich hier festzulegen. Wir müssen das im Detail anschauen und im KollegInnenkreis Gespräche führen. Viele der Probleme, die in der Umfrage auftauchen, sind natürlich struktureller Art. Aber auch an diesen Strukturen kann man etwas ändern. Wir könnten vor allem bei den Anstellungsbedingungen Einiges verbessern.
Sie sind also für höhere Löhne?
Ja, und vor allem für höhere Pensen. Der Grund für die faktisch tiefen Löhne ist ja vor allem, dass es am HS traditionell üblich war, Assistierende nur zu 50 Prozent anzustellen. Höhere Pensen und dafür weniger Anstellungen – das wäre etwas, das man auf Seminarebene angehen könnte.
Könnte man statt bei den Anstellungen zu sparen nicht auch etwas von den hohen ProfessorInnengehältern abzwacken?
Das ist keine seminarpolitische Frage, sondern eine unipolitische. Es ist sicher so: Der Lohnunterschied zwischen ProfessorInnen und dem Mittelbau ist auffällig gross. Man muss aber berücksichtigen, dass es bei ProfessorInnen-Löhnen auch um den Status von WissenschaftlerInnen in der Gesellschaft geht – eine Lohnkürzung wäre kein gutes Signal.
Aber wenn der wissenschaftliche Nachwuchs mehr verdienen würde, wäre das doch mindestens so gut für den Status der Wissenschaft.
Definitiv. In meinen Augen ist es einfach wenig sinnvoll, eine Umverteilung auf Kosten von ProfessorInnen zu erlangen. Vielleicht sollten wir uns besser an anderen Einsteigerjobs für StudienabgängerInnen orientieren, die zum Teil massiv höher entlöhnt werden als eine Mittelbaustelle. Mit den jetzigen Bedingungen stellt sich nämlich auch die Frage: Bekommen wir überhaupt die besten Leute für den akademischen Mittelbau?
«Höhere Pensen und dafür weniger Anstellungen: Das könnte man im Seminar angehen»
Simon Teuscher, Seminarvorstand
Zur Person
Simon Teuscher ist zusammen mit Nada Boškovska seit 2017 Seminarvorstand des Historischen Seminars. Er ist ausserdem Professor für Geschichte des Mittelalters.
Sie glauben, das ist nicht so?
Ich habe schon den Eindruck, dass es viele sehr gute AbsolventInnen gibt, die sich gegen eine Mittelbau-Stelle entscheiden – und dass Anstellungsbedingungen und Karriereaussichten dabei eine Rolle spielen.
Dieses System kann in gewissen Fällen auch schlechte Betreuung, Ausbeutung oder Machtmissbrauch befördern. Auch das hat unsere Recherche gezeigt. Wurden solche Fälle auch schon an Sie als Seminarvorstand herangetragen?
Zuerst: Die Begriffe schlechte Betreuung, Ausbeutung und Machtmissbrauch möchte ich nicht so stehen lassen. Nur weil es eine Seite so wahrnimmt, ist es noch nicht zwingend so. Da muss man vorsichtig sein und alle Beteiligten anhören. Konfliktfälle wurden auch schon an uns herangetragen, wenn auch sehr selten.
2014, als Sie noch nicht Seminarvorstand waren, hat sich das HS gegenüber der Unileitung ja bereits zu einer «Einhaltung (…) der Obergrenze für Lehr- und Lehrstuhlaufgaben» von Nachwuchsforschenden verpflichtet. Nun gibt in der etü-Umfrage eine Mehrheit an, oft oder sehr oft über ihrem Pensum zu arbeiten. Ist das HS wortbrüchig geworden?
Nein. Es wurden damals wichtige Schritte in diese Richtung unternommen. Wir haben die Pflichtenhefte verbindlich gemacht, in denen eine klare Obergrenze für Lehre und Lehrstuhlaufgaben festgelegt werden müssen. Und wir haben ein neues System mit zusätzlichen Lehranstellungen eingeführt. Aber es ist klar: Man könnte noch sehr viel weiter gehen. Die ÖkonomInnen haben zum Beispiel ein System, wo die Doktorierendenstellen gepoolt und nicht mehr an Lehrstühle angebunden sind. Über solche Modelle kann man diskutieren – ich persönlich habe gar eine gewisse Sympathie dafür. Solche Modelle haben allerdings auch ihre Tücken, auch für den Mittelbau.
Auch 2014 empfahl der Uni-Rektor auf Basis der offiziellen HS-Evaluation, dass die Fakultät eine Ombudsstelle für den Mittelbau einführen und das HS eine Mittelvergabe nach Bedarf statt nach Lehrstühlen prüfen solle. Beide Empfehlungen schafften es jedoch nicht in die offizielle Massnahmenvereinbarung und wurden entsprechend nicht umgesetzt. Wären Sie heute bereit, diesen Forderungen der Uni-Leitung zu entsprechen?
Ich kann mich der Interpretation, dass das HS diesen Empfehlungen nicht gefolgt ist, nicht anschliessen. Unsere Anpassungen wurden damals von der Unileitung gutgeheissen. Natürlich hätte man die Empfehlungen auch anders umsetzen können, aber es gab auch gute Gründe dagegen – eine Ombudsstelle auf Seminar- oder Fakultätsebene zum Beispiel wäre meiner Ansicht nach zu wenig anonym. Aber es spricht absolut nichts dagegen, dass der Mittelbau weitergehende Vorstösse wieder in die Seminarkonferenz einbringt.
«Vielleicht haben ProfessorInnen zu viel Verantwortung»
Simon Teuscher, Seminarvorstand
Der Mittelbau hat sich bereits im Zug dieser Evaluation sehr ausführlich geäussert und genau Forderungen in diese Richtung gemacht.
Dass man nicht mit jeder Forderung durchkommt, ist ein Stück weit das Wesen von politischen Prozessen. Es gibt auch Forderungen aus dem Zeitbereich Mittelalter, die bis heute nicht erfüllt sind. Ich möchte nicht unter den Tisch kehren, dass die ProfessorInnen in den Entscheidungsprozessen des HS ein klares Übergewicht haben. Aber Politik geht einfach so, dass man Vorschläge einbringen und diese erneuern muss, falls sie keine Mehrheiten finden. Da haben wir wirklich die notwendigen Strukturen dafür. Und es gibt ja, glaube ich, auch im Mittelbau unterschiedliche Auffassungen.
Das Übergewicht von ProfessorInnen gibt es nicht nur auf der Entscheidungsebene in der Seminarkonferenz. Es gibt in Lehrstühlen grundsätzlich ein grosses Machtgefälle. Und die Angst, es sich mit seinem/r ProfessorIn zu verscherzen, die ist gross.
Das ist so, und dafür habe ich auch Verständnis: Ich war auch einmal Post-Doc und habe in dieser Rolle sehr schwierige Situationen erlebt. Es gibt zwar gegenüber dazumal ganz klare Verbesserungen, aber das Verhältnis ProfessorIn/MittelbauangehörigeR ist nach wie vor ein anspruchsvolles Konstrukt.
Hat man als Professor zu viel Macht über seine Doktorierenden?
Ich glaube tendenziell schon. Und aus professoraler Sicht kann man es auch anders herum formulieren: ProfessorInnen haben vielleicht auch zu viel Verantwortung – zuviel von einer solchen Art von Verantwortung, in die Zielkonflikte einprogrammiert sind. Ich muss bei meinen MitarbeiterInnen, die für Lehre und Forschung unersetzlich sind, stets überlegen, ob Sie durch ihre Arbeit für Lehrstuhl und Seminar mit der Diss ins Hintertreffen geraten.
Das System ist also auch für ProfessorInen unbefriedigend?
Ich persönliche empfinde es in gewissen Hinsichten als unbefriedigend und insgesamt als ausgesprochen anspruchsvoll.
Der etü-Mittelbau-Report
Gratisarbeit, Abbrüche, schlechte Betreuung: Nachwuchsforschende sind unter Druck – auch am Historischen Seminar. Über ein halbes Jahr haben wir dazu recherchiert, unzählige Gespräche geführt, Dokumente ausgewertet, eine Umfrage auf die Beine gestellt – und dabei einiges zutage gefördert.
Hier geht es…
… zum Haupttext «Einzelfälle mit System».
… zum Interview mit Seminarvorstand Simon Teuscher.
… zu den Details der etü-Umfrage.
… zu vier Dokumenten, die wir erstmals veröffentlichen.
Weitere Hinweise an: mittelbau@etue.ch