Ein werdender Diktator auf Geldsuche, ein deutschlandfreundlicher General und seine schwärmende Gattin: Einige Schweizer Grossunternehmer wollten in den 1920er Jahren Hitlers damals noch jungen NSDAP mit finanziellen Mitteln zum politischen Erfolg verhelfen.
Wir schreiben den 30. August 1923. In der Villa Schönberg im Zürcher Enge-Quartier ist ein dubioser Gast geladen. Die Rede ist von keinem anderen als Adolf Hitler, damals aufstrebender Parteiführer der noch jungen NSDAP. Sein Ziel: Spenden sammeln und Schweizer Industrielle sowie Vertreter aus der Wirtschaft von der Sache der Nationalsozialisten überzeugen. Clara Wille, die Frau des Schweizer Generals Ulrich Wille, wird später in ihrem Tagebuch über den Besuch schreiben: «Zu Tisch, Oberst Gertsch, Hittler & Dr. Ganzert. Hittler äusserst sympatisch [sic]! Der ganze Mensch bebt, wenn er spricht; er spricht wundervoll.»
Dass Ulrich und Clara Wille Bezüge zu Hitler hatten, ist kein Zufall. Ulrich Wille war während des Ersten Weltkrieges General der Schweizer Armee gewesen und machte nie einen Hehl aus seiner deutschlandfreundlichen Haltung – auch nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und den Wirren der Zwischenkriegszeit nicht. Vielmehr hatte er sich unter anderem damit gebrüstet, die Schweizer Armee nach preussischem Vorbild wieder auf Vordermann gebracht zu haben. Zudem war er finanziell an der Kriegsindustrie auf Seiten der Deutschen involviert gewesen, sodass ihm aus privatem Interessen viel daran lag, Deutschland wieder erstarken zu lassen.
Willes Sohn, mit Namen ebenfalls Ulrich, pflegte zudem bereits ab 1922 Kontakte zu Rudolph Hess, dem späteren Stellvertreter Hitlers im Dritten Reich. Dieser soll sich damals für ein Semester an der ETH Zürich aufgehalten haben – auch wenn es dazu keine überlieferten Studienbescheinigungen oder Ähnliches gibt. Doch die Verbindung zur Familie Wille ist belegt, und Rudolph Hess war so auch im Jahr 1923 regelmässig zum Mittagessen bei Ulrich Wille dem Jüngeren eingeladen. Daraus ergab sich schliesslich die Verbindung der Familie Wille zu Hitler, der im Vorfeld seines Putsches vom November desselben Jahres vermehrt auf Geldsuche im Ausland war, da sich in der Heimat aufgrund der rapiden Entwertung der Mark kein Geld mehr verdienen liess. In einer Rede vor rund 40 Personen beschwor er das bolschewistische Schreckensgespenst aus Osteuropa herauf und inszenierte die NSDAP mit sich selbst an ihrer Spitze als wichtige Kraft im Kampf dagegen – Worte, die bei den Willes auf Anklang stiessen. «Eine Gesundung Deutschlands ist nur möglich, wenn rücksichtslos dreingefahren wird», forderte der damals 34-jährige Hitler unter anderem. Es sei wichtig, die Revolution aus dem Osten zu verhindern, dazu sei ein «Diktator, der sich auf eine entschlossene, wenn auch kleine Minderheit stütz» notwendig – selbstredend meinte Hitler damit sich selbst.
Antisemitische Äusserungen lassen sich in Hitlers Rede keine finden. 1923 ging es ihm zunächst um wirtschaftliche Aspekte. Mit einer antibolschewistischen Rhetorik erhielt Hitler deutlich mehr Zuspruch als mit judenfeindlichen Aussagen. Ohnehin war die «Judenfrage» in der Schweiz zu wenig brisant. Mit gerade einmal 0.4% der Bevölkerung stellten die Juden nur eine marginale Minderheit dar. Und im Gegensatz zum Ausland konnte man damals in der Schweiz keine Karriere mit offenem Antisemitismus machen – obwohl dieser auch verbreitet war.
Bezüglich der wirtschaftlichen Rettung Deutschlands konnte Hitler am besten mit Geldmitteln in Devisenform «rücksichtslos dreinfahren». Neben belegten Schweizer Franken – die bayrische Polizei ging in den Ermittlungen nach dem gescheiterten Putschversuch Hitlers im November 1923 von rund 33’000 Franken aus – flossen auch Dollars und weitere Fremdwährungen. Es gilt als sicher, dass hohe NSDAP-Funktionäre einen Teil ihres Gehalts vor dem Putsch unter anderem in Schweizer Franken erhalten hatten. 33’000 Franken entsprächen heute rund 200’000 Franken, wobei bezüglich des genauen Betrags wohl nie vollständige Klarheit herrschen wird, fand ein Grossteil dieser Spenden doch im Dunkeln statt: ohne Belege, ohne Bankverbindungen, wie der Historiker Alexis Schwarzenbach, der selbst aus dem Wille-Clan stammt und darüber geforscht hat, erläutert. Das hat naheliegende Gründe, musste Hitler den Zweck seiner Reise in die Schweiz doch von Anfang an geheim halten – beim Konsulat in München gab er «Studienzwecke» als Grund seiner Reise an, denn es war ihm untersagt politische Tätigkeiten im Ausland auszuführen. Aufgrund dieser Geheimhaltung ist es schwierig zu sagen, wie viel Geld insgesamt aus der Schweiz in die Spendenkassen der Nationalsozialisten floss.
Mit dem Wille-Clan und dessen Bezüge zu den Nationalsozialisten hat sich bereits Niklaus Meienberg in seinem 1987 erschienenen Buch «Die Welt als Wille und Wahn» beschäftigt. Seitdem debattiert man in Fachkreisen, aber auch in der Öffentlichkeit vehementer über die Beziehung der Schweiz zu Nazideutschland und dem Holocaust.
So schreiben wir schliesslich das Jahr 2015, und in Zürich wird die Villa Schönberg Gegenstand einer geschichtspolitischen Debatte. Man streitet sich, inwiefern dem zweifelhaften Besuch Hitlers in Zürich Erwähnung in der Öffentlichkeit geschenkt werden solle. Die Villa dient heute dem Museum Rietberg zu Verwaltungszwecken.
Der Tagesanzeiger und die Schweiz am Sonntag berichteten über die Nicht-Erwähnung Hitlers im öffentlichen Raum. Auch Philipp Sarasin, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Uni Zürich, sprach sich in einem Tagesanzeiger-Artikel vom Oktober 2015, für die Anbringung einer Plakette aus. Er wies Ängste, dass die Villa Schönberg dadurch zu einem Wallfahrtsort für Neonazis werden könnte, zurück. Dennoch entschied sich das Museum schliesslich für eine weniger auffällige Variante und führte Hitlers Besuch in Zürich auf seiner Website in einem eigenen Abschnitt aus.
Doch egal, ob nun mittels Plakette oder durch Erwähnung im Netz, es geht grundsätzlich um die Frage, ob und wie man Bezüge der Schweiz zu den Gräueln der Nationalsozialisten im geschichtspolitischen Kontext verortet. Die finanzielle Unterstützung für die NSDAP stellt sicherlich alles andere als ein Ereignis dar, auf das man in der Schweiz stolz sein kann. Die Spuren Hitlers in der Schweiz sind wohl genau deshalb spärlich, weil man gerne darüber hinwegsehen würde. Doch sie ganz unter den Tisch zu kehren, ist auch keine Lösung.