Ob Pest, Pocken oder Corona – Seuchen kommen und Seuchen gehen. Eines bleibt allerdings gleich: Der Versuch, sie mittels Quarantäne zu besiegen. Doch woher kommt der Begriff, und wie erfolgreich ist die Massnahme? Eine Reise durch 700 Jahre Isolation.
Im Moment ist sie in aller Munde – die Quarantäne. Breit wird ihre Wirksamkeit diskutiert und hitzig gestaltet sich die Debatte darüber, inwieweit sich die Quarantäne auf das soziale und öffentliche Leben auswirkt. Auch in der Schweiz wurden am 17. März 2020 einschneidende Massnahmen ergriffen, um dem neuartigen Corona-Virus die Stirn zu bieten. Schrittweise sollen diese Massnahmen nun wieder abgebaut und der Lockdown aufgehoben werden. Doch was einige Schweizer_innen misszuverstehen scheinen, ist die Tatsache, dass sie – abgesehen von einigen Ausnahmen – keineswegs unter Quarantäne gestellt wurden. Denn selbst wenn unser alltägliches Leben starken Einschränkungen unterworfen ist, so dürfen wir uns doch noch in kleinerem Umfang nach draussen bewegen, beispielsweise zum Einkaufen oder Spazieren. Die Quarantäne hingegen ist mit einem vorübergehenden Freiheitsentzug gleichzusetzen und findet ihren Ursprung im 14. Jahrhundert.
Zwischen 1346 und 1353 grassierte er in ganz Europa – der schwarze Tod. Auch wenn sich heutige Forscher_innen darüber einig sind, dass dies nicht das erste Auftreten der Pest war, so kann doch mit Bestimmtheit behauptet werden, dass es sich bei dem Ausbruch im 14. Jahrhundert um eine der schlimmsten Pandemien der Weltgeschichte handelte. Innerhalb von knapp 15 Jahren starben schätzungsweise mehr als 25 Millionen Menschen – ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Dies lag nicht nur an den prekären hygienischen Zuständen, die damals herrschten, sondern auch daran, dass den Menschen des Spätmittelalters schlichtweg das medizinische Know-How im Umgang mit der neuartigen Krankheit fehlte. Es gab vielfältige, teils antisemitische Theorien darüber, woher die Pest stammen könnte: Juden hätten Brunnen vergiftet, der Wind treibe die Krankheit nach Europa oder Gott bestrafe die Menschheit.
Leider half im Umgang mit der Pest keine dieser Theorien weiter. Ebenso erfolglos im Kampf gegen die Krankheit blieben die medizinischen Behandlungsweisen und Schutzvorkehrungen. Denn aus Ermangelung an Alternativen wurden Betroffene zur Ader gelassen, was den bereits angegriffenen Körper noch weiter schwächte. Daneben fehlte lange das Wissen darum, dass die Krankheit in hohem Grade übertragbar ist, weshalb Betroffene zunächst in örtliche Krankenstationen gebracht wurden. Erst nach und nach setzte sich die Erkenntnis um die Übertragbarkeit durch. Nun versuchten sich die Menschen durch das Tragen von Masken und das Verbrennen von Hölzern und Kräutern zu schützen – ebenfalls erfolglos.
Erst Jahre später sollte sich die Auffassung durchsetzen, wonach eine strikte Isolation Betroffener zur Ausrottung der Krankheit führen kann. Erste Quellen in diesem Zusammenhang stammen aus der Republik Ragusa, welche ankommenden Reisenden und Kaufleuten das Betreten der Stadt erst nach einer Frist von dreissig Tagen gestattete. Auch in Marseille, Pisa und Venedig wurden in den darauffolgenden Jahren ähnliche Massnahmen ergriffen. Der einzige Unterschied: die Isolation erstreckte sich über vierzig (ital. quaranta) Tage.
Mit der Zeit wurde die Praxis weiter professionalisiert. Immer mehr Städte verfügten über Lazarette. Bis 1468 hatte Venedig seine Quarantänemassnahmen soweit spezialisiert, dass es über zwei unterschiedliche Inseln verfügte; eine für Verdachtsfälle und eine für tatsächlich Infizierte. Während vierzig Tagen mussten die Ankommenden sodann ausharren und darauf hoffen, nicht an der Pest zu erkranken oder gar zu sterben. Die Waren wurden derweil ausgelüftet und mit den Dämpfen von verbrannten Kräutern «gereinigt». Auch wenn die unter Quarantäne gestellten Personen mit Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe versorgt wurden, änderte dies nichts an der hohen Sterblichkeit oder dem Gestank und Dreck, in welchem die Isolierten dahinsiechten. Jüngst ausgehobene Massengräber deuten daraufhin, dass der Krankheit in Hochzeiten bis zu 500 Personen pro Tag erlagen.
Da sich einige Kaufleute illegalerweise von der Quarantäne freikauften, kam es immer wieder zu Pestherden. In dieser Folge mussten teilweise ganze Viertel abgesperrt werden. Unerheblich dabei war, ob alle Bewohner dieser Standorte infiziert waren. Dies führte dazu, dass sich vormals Gesunde ebenfalls ansteckten. Erst im 19. Jahrhundert wurde das Rätsel um die Pest gelöst und entdeckt, dass es sich dabei um eine bakterielle Infektionskrankheit handelt, die über Flöhe auf den Menschen übertragen wird. Heutzutage lässt sich die Krankheit bei frühzeitiger Entdeckung mittels Antibiotika behandeln.
Dass sich die Angst vor der unkontrollierbaren Verbreitung von Seuchen auch nach dem Abflachen der grossen Pestherde nicht legte, zeigt beispielsweise der Umgang des Deutschen Kaiserreichs mit den Erregern seiner Zeit (Typhus, Fleckfieber, Cholera, Pocken). Im Zuge des 1. Weltkriegs wurde ein Narrativ erschaffen, wonach sich Krieg und Seuche bedingen würden. Durch den Krieg käme es zu schnellen Bewegungen grosser Menschenmengen und zur Durchmischung letzterer, was die Gefahr vor unaufhaltsamen Seuchen erhöhe, so hiess es. Dem wollte man mithilfe der koch’schen Bakteriologie entschieden entgegentreten, weswegen präzise orchestrierte Vorkehrungen im Rahmen der sanitären Mobilmachung vorgenommen wurden.
Nebst der Erregerermittlung stand auch hier die Isolierung der Infektionsquelle im Mittelpunkt, weshalb an der deutschen Grenze entlang in grossem Stil Seuchenlazarette errichtet wurden. In diesen Lazaretten hatten Infizierte exakt formulierten Vorgaben zu gehorchen. Beim Eintritt des Gebäudes wurden sie zunächst gründlich gereinigt – Kleider und andere Habseligkeiten mussten abgegeben werden. Im Lazarett selbst befanden sich die Insassen in einem Zustand ständiger Überwachung. Denn das optimale Lazarett war dergestalt angelegt, dass die Infizierten zu jeder Zeit beobachtet werden konnten. Dadurch konnte nonkonformes Handeln auf der Stelle entlarvt werden. Die Einhaltung der Hygienemassnahmen wurde dabei durch ärztliches Personal und Desinfektoren sichergestellt. Letztere befanden sich im panoptisch angelegten Lazarett im Innenhof, in welchem sie Nachtgeschirre, Harnflaschen und Spucknäpfe zu reinigen hatten.
Verlassen durften vormals Erkrankte das Lazarett erst wieder, wenn sie gesund und damit «rein» waren. Der Einzelne zählte in diesem Zusammenhang wenig; die Isolation diente vor allem dem Zwecke, «den deutschen Volkskörper» gesund zu halten, weswegen die getroffenen Massnahmen aus heutiger Sicht undenkbar wären. Des Weiteren ist bis heute umstritten, inwieweit die bakteriologische Kriegsführung zielführend war.
Gut hundert Jahre später ist es nun wieder soweit; die Welt sieht sich mit einer weiteren Seuche konfrontiert. Und auch wenn wir heutzutage über veränderte Grundvoraussetzungen verfügen, fehlt bis anhin dennoch ein wirksames Heilmittel im Kampf gegen das neuartige Corona-Virus. Der Umgang mit der Bedrohung gestaltet sich je nach Regierung unterschiedlich. China verhängte im Januar beispielsweise tatsächlich eine Form von Quarantäne über Wuhan, den Ausgangspunkt des Virus. Die Stadt wurde komplett abgeriegelt, Wohnungen durften nur noch in absoluten Notfällen verlassen werden. Andere Länder zogen in teilweise abgemilderter Form nach. Auch die Schweiz verfügte am 17. März den Lockdown; Schweizer Bürger_innen sollen möglichst zuhause bleiben und im Home-Office arbeiten. Quarantäne wird in der Schweiz allerdings nur für jene Menschen angeordnet, bei denen begründeter Verdacht auf eine Infektion besteht. Beispielsweise für Heimkehrer und/oder Menschen, die Kontakt zu Infizierten hatten. Verändert hat sich vor allem eins; die Länge der Quarantäne. Diese wird heute nicht mehr einfach bei vierzig Tagen angesetzt, sondern richtet sich nach der Inkubationszeit des Virus. Dass Quarantäne und schwächere Formen der Isolation hilfreich sind, zeigen die sinkenden Fallzahlen in der Schweiz und in anderen Ländern deutlich auf.
Und trotzdem; auch wenn wir uns glücklich schätzen dürfen, nicht völlig isoliert zu sein, bleibt die momentane Situation für die meisten belastend. Insofern dürfen wir schon jetzt darauf hoffen, dass sich die Lage alsbald entschärft. Bis dahin ist spazieren gehen und Lesen angesagt – zum Beispiel das Decamerone von Boccaccio.