Am 13. Juni 2021 stimmt das Schweizer Stimmvolk über die Revision des CO2-Gesetzes ab. Unsere Redakteurin wirft einen Blick auf die Geschichte der Schweizer Klimapolitik, von den vagen Anfängen bis in die Zukunft. Ihr Fazit: Das Gesetz müsste einen anderen Namen haben, um wirklich etwas verändern zu können. Ein wichtiger Schritt ist es trotzdem.
Vor 31 Jahren tauchte der Klimawandel auf dem politischen Radar der Schweiz auf. Und zwar in Form eines Papiers: 1990 erschien der erste Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC. Das damals noch junge IPCC zeigte die Effekte der globalen Klimaerwärmung und mögliche Wege auf, um zur Minderung des Klimawandels beizutragen. So schaffte es eine wissenschaftliche Basis, die als Orientierungshilfe für die Klimapolitik verschiedenster Staaten funktionierte.
Bereits in den Jahren vor dem Bericht des IPPC war der Klimawandel im Alpenland Schweiz zu spüren gewesen. Überschwemmungen, Bergrutsche und Unwetter sorgten für breite mediale Diskussionen. Zahlreiche Vorschläge, etwa eine Treibstoffabgabe, standen damals schon im Raum, und der IPCC-Bericht bekräftigte sie. Zu einer konkreten Politikformulierung kam es trotzdem nicht – zu stark war der Gegenwind von Wirtschafts- und Rechtsparteien.
Auf institutioneller Ebene brachte der Bericht aber trotzdem einiges ins Rollen. Die Vereinten Nationen beschlossen deshalb 1992, erstmals gemeinsame Konsequenzen zu ziehen. Sie riefen die UNO-Klimakonvention ins Leben, bei der auch die Schweiz Mitglied ist. Die Klimakonvention sollte das globale Klima so stabilisieren, dass eine Störung des Klimasystems durch Treibhausgase verhindert werden könnte. Nur: Emissionsreduktionsziele wurden nicht festgelegt. Und auch kein verbindlicher Zeitraum, der etwas Druck gemacht hätte.
Die Forderungen der Klimakonvention waren offensichtlich sehr vage und lieferten nur wenige Anhaltspunkte für die Mitgliedsstaaten, um konkrete Politiken zu formulieren. Das zeigte sich auch in der Schweiz, wo keine rechte Diskussion um eine Klimapolitik zur Emissionsreduktion zustande kam. Obwohl diverse Vorschläge für Politiken zum Klimaschutz existierten, schaffte es keine dieser Anregungen bis in die Verfassung. Bald war klar: Ein konkretes Gesetz musste her.
Erst mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 legte die UNO verbindliche Treibhausgasreduktionen für ihre Mitgliedsstaaten fest. 2003 ratifizierte auch die Schweiz das Abkommen. Damit verpflichtete sie sich, ihre Treibhausgase bis 2012 um acht Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.
Der Grundstein für dieses Ziel wurde bereits 2000 mit der ersten Fassung des CO2-Gesetzes gelegt. Ziel war es, die im Kyoto-Protokoll festgelegte Emissionsreduktion in einem nationalen Gesetz zu verankern. Die erste Fassung des CO2-Gesetzes enthielt jedoch vor allem freiwillige Vorschläge für Massnahmen, die Wirtschaft und Privatpersonen zur Eigeninitiative bezüglich Klimaschutz anregen sollten.
Dieser erste Teil des Gesetzes war in meinen Augen reine Formalität. Denn eine Schweizer Wirtschaft, die freiwillig Umweltschutz über Profit stellt, gab es weder damals noch heute. Deshalb war der zweite Teil des CO2-Gesetzes so wichtig: Sollten freiwillige Massnahmen nicht ausreichen, um die Emissionen ausreichend zu senken, schrieb das Gesetz vor, dass frühestens ab 2004 eine CO2-Steuer auf fossile Brennstoffe eingeführt werden könne. Meiner Meinung nach war das ein erster wichtiger Schritt, denn erstmals wurden konkrete Massnahmen zur Emissionssenkung in der Schweizer Verfassung festgelegt.
Innerhalb weniger Jahre wurde klar, dass die Schweiz allein mit freiwilligen Massnahmen die Emissionsreduktion bis 2012 nicht erreichen konnte. Die im CO2-Gesetz festgelegte CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe wurde implementiert. Unter anderem dank dieser Abgaben schaffte es die Schweiz, ihre Ziele bis 2012 – dem Ende der Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls – einzuhalten. Die Schweiz ratifizierte eine erneute Verpflichtungsperiode, die bis letztes Jahr hätte andauern sollen. Diese Verpflichtungsperiode trat jedoch nie in Kraft, weil nicht genügend Staaten dazu bereit waren, das Protokoll erneut zu unterschreiben.
Basierend auf dieser Ratifikation wurde 2013 in der Schweiz dennoch die zweite Fassung des CO2-Gesetzes verabschiedet. Sie legte fest, dass die Schweiz bis 2020 die CO2-Emissionen um insgesamt 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken habe. Doch auch in diesem Gesetz wurden keine konkreten Massnahmen festgelegt, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Daran krankt die Schweizer Klimapolitik bis heute; es ist einer der Gründe, weshalb die Schweizer Stimmbevölkerung am 13. Juni über eine erneute Gesetzesrevision abstimmt.
Im Jahr 2015 wurde an der UNO-Klimakonvention das Pariser Klimaabkommen verabschiedet. Dieses diente weitgehend als Ersatz für das Kyoto-Protokoll. Im Gegensatz zu letzterem wurde im Pariser Klimaabkommen ein konkretes globales Emissions-Reduktions-Ziel festgelegt. Alle 196 Mitgliedsstaaten stimmten zu, ihren Beitrag zu leisten, um den weltweiten Emissionsanstieg auf weniger als zwei Grad Celsius zu senken. Konkret verpflichtete sich die Schweiz dazu, ihre Emissionen bis 2030 um fünfzig Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken.
Zwar legt das Pariser Klimaabkommen für alle Mitgliedsstaaten solche Ziele fest, allerdings gibt es kein Instrument, welches das Einhalten dieser Ziele gesetzlich festlegen würde. Das Abkommen vertraut darauf, dass jeder Mitgliedsstaat seine nationale Klimapolitik so anpasst, dass das Ziel erreicht werden kann. Wie auch in der Schweiz zu sehen ist, ist dies ein schwieriges Unterfangen. Die Schweiz hat seit der Unterzeichnung des Klimaabkommens nur wenige Schritte in Richtung Emissionssenkung gemacht. Einer davon war die 2017 angenommene Energiestrategie 2050, in der Energieeffizienz, erneuerbare Energien und der Ausstieg aus der Atomkraft festgelegt wurden. Über den nächsten entscheidenden Schritt wird jetzt abgestimmt.
Die Revision des CO2-Gesetzes soll sicherstellen, dass die im Pariser Klimaabkommen festgelegte Emissionsreduktion von fünfzig Prozent gegenüber 1990 eingehalten wird. Dies wäre mit den bisherigen Massnahmen nicht gewährleistet. Das revidierte Gesetz sieht diverse Massnahmen vor, um eine Senkung der Emissionen zu erreichen. Die bisherige Abgabe auf fossile Brennstoffe wird durch eine Flugticketabgabe ergänzt. Im Gesetz werden zusätzlich CO2-Kompensationen, Gesetze für effizientere Fahrzeuge, zur Förderung von Klimafonds und weiteres festgelegt.
Beim Lesen dieser vorgesehenen Massnahmen stellte sich mir die Frage, wie effizient diese sind. Denn das Gesetz sieht nach wie vor keine Emissionsabgaben für grosse Schweizer Firmen vor, mit der Begründung, dass sie «wettbewerbsfähig bleiben können». In meinen Augen ist genau das das Problem der nationalen und auch der globalen Klimapolitik. In der Politikwissenschaft wird dies als «Collective Action Problem» bezeichnet: Es müssten alle Länder der Welt wirtschaftlich im gleichen Masse durch die Emissionssenkungen «geschwächt» werden, damit alle mitmachen. Die Schweiz sieht zwar die Notwendigkeit, ihre Emissionen zu senken, jedoch ist sie nicht dazu bereit, im internationalen Wettbewerb durch ein «zu striktes» CO2-Gesetz geschwächt zu werden.
Die Geschichte zeigt, die Schweizer Klimapolitik war bislang vor allem zweierlei: vorsichtig und zurückhaltend. Die Schweiz war und ist Teil diverser Abkommen, um den Klimawandel abzuschwächen. Ihre Klimapolitik hört jedoch da auf, wo die Wirtschaftspolitik und der internationale Wettbewerb anfangen. Gesetzesbeschlüsse zur Emissionsreduktion schreiten nur langsam voran und die darin festgelegten Massnahmen sind bescheiden und oft diffus.
Das CO2-Gesetz, über das am dreizehnten Juni abgestimmt wird, halte ich deshalb zwar für einen wichtigen Schritt. Es wird die Geschichte der Schweizer Klimapolitik aber nicht massgebend verändern. Allein schon wegen dessen Namen, der ein weiteres Problem offenbart: Kohlenstoffdioxid ist das Treibhausgas mit der höchsten Konzentration in der Atmosphäre, aber andere Gase wie Methan verursachen auch erheblichen Umweltschäden, die mit dem CO2-Gesetz nicht abgeschwächt werden würden.
Trotz diesen Problemen denke ich, dass das CO2-Gesetz dazu beitragen könnte, den internationalen Diskurs um die Klimapolitik etwas zu verändern. Weil die Schweiz ein Alpenland mit (einstmals) grossen Gletschern ist, ist der Klimawandel hierzulande überdurchschnittlich stark spürbar. Somit ist die Schweiz eines der ersten Länder, das die Klimaerwärmung zu spüren bekam – sie wäre aber auch eines der ersten Länder, das von einer Emissionsreduktion profitieren würde. Mit der Annahme der Revision des CO2-Gesetzes würde die Schweiz zumindest ein kleines Zeichen setzen. Und andere Länder anregen, selbst konkretere Klima- Gesetze und -Ziele zu formulieren.