Wenn auch klein und dunkel, die Küche in der Cité Universitaire in Genf machte den Unterschied im Studienalltag aus. Ein Bericht über mein Austauschsemester in Genf 2021.
Bananenbrot. Das war das Gebäck, das in der Pandemie alle backen lernten. Ich nicht. Ich glaube sogar, dass ich noch nie so unkreativ gekocht habe wie während dieser Zeit. Ich ernährte mich von Linsen, Kichererbsen, Hüttenkäse, Gemüse und Schokolade. Vielleicht war ein Grund auch, dass ich immer nur für mich alleine kochte und sich somit der Aufwand weniger lohnte. In unserer Küche in Genf nämlich, gab es wenig Platz, nur vier Herdplatten und sonderlich sauber war es auch nicht. Ich erwischte genau jenes Semester, das komplett online durchgeführt wurde – an allen Schweizer Unis. Das Studierendenheim aber war voll mit Leuten aus aller Welt. Der Austausch zu allen möglichen Lebensstilen, Vorlieben, Interessen, Studiengängen, Fähigkeiten und Sprachen kam da nie zu kurz. Die Küche war unser Ort des Austausches. Die Coronaregeln für diese kleine, dunkle Küche, die wir uns zu 16. teilen mussten, waren nur schwer umsetzbar (und auch null realistisch – macht mal einen Kochplan für 16 Leute, wenn nur eine Person aufs Mal im Raum sein darf?!). Während meine Mitbewohnerin aus Indien ihren Chai oder ihr Dal kochte, machte die Französin Crêpes und der Spanier ass um halb elf nachts (ja, die Klischees wurden voll erfüllt, sorry: Ich war auch diejenige, die bei weitem am meisten Schokolade konsumierte…).
Der Kaffee
Es drehte sich bei uns vieles ums Essen oder vielleicht war das auch die Ausrede, nach den Onlinelektionen wieder mit den anderen in Kontakt zu treten. Eine kleine Berühmtheit in der Cité Universitaire war der Amerikaner, der sich erst gerade eine Bialetti gekauft hatte und pro Tag mindestens fünf Mal Kaffee machte und trank (auch nach neun Uhr abends). Diesen Kaffee verteilte er auch gerne und grosszügig auf anderen Etagen des Gebäudes. Seine Kaffeebohnen mahlte er selbst und bei jedem neuen Pack Bohnen gab es mindestens 3 batches zu probieren, um die perfekte Mahlstärke herauszufinden. Zittrige Hände und Koffeinüberschuss waren jederzeit garantiert – er füllte den Filter randvoll (und drückte den Kaffee immer noch schön hinein und füllte noch mehr hinein) und Milch gab es dazu nie. Ich war nicht selten bei der Kaffeebohnenmahlstärketestung dabei, nicht weil ich besonders gerne viel starken Kaffee ohne Milch trinke, sondern weil ich von seiner Begeisterung für Kaffee fasziniert war und er mir jedes Mal ein neues Kaffeedetail erklärte.
Das Gift
Auch in meinen Seminaren ging es nicht selten um Essen. In einem Seminar der Frühen Neuzeit mit dem Titel «Troubler l’ordre de genre: femmes violentes, femmes transgressives à l’époque moderne» ging es um Frauen, die die «Norm» überschritten hatten. Darunter fielen natürlich auch die vielen Menschen, die den Hexenverfolgungen zum Opfer fielen. Die Vorstellungen, die über Hexen und Hexer vorherrschten, waren immer auch mit Kochen verbunden: Es wurde ihnen nachgesagt, dass sie auf dem Hexensabbat an einem entfernten Ort zusammenkamen und sich dort Orgien, Tänzen und Banketten hingaben. Den Hexen wurden eher Übeltaten angehängt, die mit der Küche oder dem Kochen in Verbindung gebracht wurden. Die gängige Vorstellung, dass die Frau in die Küche gehörte, führte zu den Narrativen, dass sie Gifte mischte und Zugriff auf viele geheime Zutaten hatte. Häufig wurde sie auch als Kindesmörderin dargestellt. Nicht selten wurde nämlich von Salben gesprochen, die von Hexen aus Kindesfett hergestellt wurden. (Bilder in den Chroniken von Johann Jakob Wick zeigen diese Aspekte sehr detailliert.) In einem zweiten Seminar ging es um «Sainteté et politique: autour des saintes et saints royaux». Die besprochenen Heiligenviten behandelten häufig die Geschichte einer Person, die sich durch ihre Güte oder Frömmigkeit auszeichnete und später deshalb heiliggesprochen wurde. Sainte Radegonde, von Geburt an Prinzessin und verheiratet mit einem König, zum Bespiel fastete und löste sich somit immer mehr von weltlichem Verlangen. Sie gab die ihr aufgetischten königlichen Speisen lieber an Arme weiter. Nicht selten haben diese Heiligen auch Selbstkasteiung betrieben. Nach solchen Stunden musste ich mir ab und zu eine Pause gönnen, bevor ich selbst wieder herzhaft zubeissen konnte.
Das Poulet
Unsere Küche konnte auch zu eng werden. Platz, um dort zu essen, gab es selten, und wenn, passten maximal vier Leute um den Tisch. Nach ein paar Wochen kannte man die Zeitpläne seiner Zimmernachbar*innen und wusste, wann die Küche leer und wann voll war. Wollte man abends gegen halb sieben Uhr etwas kochen, war es schwierig anderen auszuweichen, aber dafür gab es Monsieur Poulet. Mittwochs und freitags kam er mit seinem Wagen vor die Cité und verkaufte da seine Güggeli mit richtig gut gewürzten Pommes. Die obligate Frage: Vous voulez du jus? Er füllte dann den triefenden Saft in die Tüte. Euro als Bezahlung nahm er auch an, das sei kein Problem, ganz im internationalen Geiste Genfs. Sich es mit einem Güggel von Monsieur Poulet in seinem Zimmer gemütlich zu machen und einen Film zu schauen, war die perfekte Alternative zur engen Küche. Da nahm man gern den Geruch in Kauf, der sich danach im Zimmer noch eine ganze Weile hielt.
Je wärmer es wurde, desto eher konnten die Mahlzeiten auch nach draussen verschoben werden. Auf der Wiese vor der Cité assen wir unseren Salat oder die bestellte Pizza. Das Sonnenlicht, das in der Küche und während der Onlineseminare so prominent fehlte, konnte so etwas kompensiert werden. Mit dem Sommer kam auch die Sonne und immer häufiger gingen wir auch an den See – da gab es dann Chips und Bier und Kuchen und was man sonst noch so an den See mitbringt. Auch der Fluss Arve wurde zu einem beliebten Ort, um Lagerfeuer zu bauen, Geburtstage zu feiern (natürlich mit Kuchen!) und die Sterne zu beobachten. Als ich im Sommer wieder nach Zürich heimkehrte, hatte ich einiges an Rezepten aus den verschiedensten Teilen der Welt mit im Gepäck. Bananenbrot war nicht dabei.
Etü abroad Rating
Uni: ECTS oder Erfahrung? Das ist hier die Frage.
★★☆☆☆ bzw. ★★★★☆
Die Dozierenden der Uni waren kompetent, zuvorkommend, freundlich und lieferten eine gute Betreuung. Die ausgewählten Seminarthemen waren sehr spannend und bereichernd. Nur gibt es da leider die ECTS… Die ECTS-Verteilung an der Uni Genf ist für Austauschstudis einheitlich, das heisst, ich bekam für ALLE Seminare dieselbe Anzahl Punkte – der Aufwand zählte überhaupt nicht. Das bedeutet, dass ich für 3 verfasste Seminararbeiten je 4 ETCS bekam. Aber es heisst ja, die Erfahrung zählt.
Freizeit: Ab nach draussen
★★★★★
Während der Pandemie war auch in Genf alles zu, d.h. Bars und Restaurants lernte ich gefühlt erst in der letzten Woche des Austauschs kennen. Dafür sah ich viele Städtchen, Seen, Bergen und Hügel der Romandie. Ab März gab es regelmässig ein Bad im kristallklaren Genfersee. Und: Wir fanden den perfekten Lagerfeuerplatz am Fluss Arve. Die Zeit mit den anderen Studierenden aus der Cité Universitaire ist unersetzlich.
Wohnen: Shité Universitaire de Genève
★☆☆☆☆
Die Kosten waren dafür, dass die Küche für 16 Personen gedacht war, ein Stock zwei Toiletten und zwei Duschen hatte, die Wäsche nicht gratis gewaschen werden konnte und die Zimmer schmuddelig waren, viel zu teuer – auch für Genfer Verhältnisse. Das Reinigungspersonal reinigte jedoch täglich die Küche (zum Glück!!) und einmal in der Woche unsere Zimmer. (Die Leute, die dort lebten, sind nicht in dieser Rezension inkludiert, sie würden ein 5/5 erhalten.)