Sonderbare Spassmacher, bedeutende Berater oder bemitleidenswerte Witzfiguren. Hofnarren lebten ein Spiel zwischen Witz und bitterem Ernst. Ein Einblick in einen so einzigartigen wie gefährlichen Beruf.
Menschen mit Kleinwuchs, geistigen oder anderen Beeinträchtigungen wurden seit dem Frühmittelalter an europäischen Herrschaftshöfen zur Belustigung der Höflinge und des Herrschers eingesetzt. Zuweilen machten sich die Herrscher des 11. und 13. Jahrhunderts sogar ein Spiel daraus, wer die ausserordentlichsten «natürlichen » Narren und Närrinnen zu bieten hatte. Doch das änderte sich schon bald: Im Hochmittelalter verbreitete sich an den europäischen Höfen ein neues Konzept, das mit den Kreuzzügen von den muslimischen Herrschaftsgebieten nach Europa importiert worden war: Der sogenannte «künstliche» Narr, der Hofnarr, zeichnete sich nicht mehr durch eine Behinderung aus, sondern durch seinen Humor und seine Kritik am Herrscher – eine neue Funktion am Hof, die sich erst etablieren musste.
Gewöhnliche Possenreisser, grob und stümperhaft in ihrer Art, wurden von den damals noch häufig umherziehenden Herrschern in ihr Gefolge aufgenommen und sorgten fortan für eine lockere Stimmung. Allerdings waren diese neuen Narren anfangs schlecht auf die höfischen Sitten eingestimmt und überschritten die Grenzen ihres neu erworbenen Privilegs der Unverletzlichkeit: Ein Hofnarr erschlug seinen Herrscher, Herzog Boleslav III., mit einem Ziegelstein, ein anderer zog gegen den König von Frankreich seinen Degen. Beide wurden geköpft. Bald emanzipierte sich das Hofnarrentum in Europa aber von Possenreissern aus dem Volk. Die Hofnarren wussten ihren Herrscher nicht nur mehr mit billigen Spässen zu unterhalten, sondern mit geistreicher Kritik und treffsicherem Sarkasmus zu beeinflussen und zu unterstützen. Zahlreiche, mitunter im Laufe der Zeit literarisch ausgeschmückte Anekdoten erzählen von den abenteuerlichen Erlebnissen der Hofnarren und verdeutlichen ihre sonderbare Rolle an den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Höfen.
Die Hofnarren hatten die Freiheit und Pflicht zu reden; dafür wurden sie angestellt und bezahlt. Ihnen gebührte also die Narrenfreiheit. Sie mussten ihren Herrscher ins Lächerliche ziehen und diesen dabei selbst zum Lachen bringen. Folgte einem Spruch oder Streich beklemmende Stille, drohte ihnen eine Bestrafung, die bis zum Tod reichen konnte. Die Herrscher waren oftmals unberechenbar, die Grenze des Sag- und Machbaren nicht durch die gewöhnliche Straffheit der höfischen Verhaltensregeln abgesteckt – schnell wurde es gefährlich. Eine Anekdote illustriert diese hofnärrische Grenzübertretung: Petter Letzkopf, Hofnarr des Grafen Johann Werner von Zimmern um 1530, war ein eigenartiger Spassmacher. Seine Schuhe trug er am Gurt und auf Hosen verzichtete er ganz. In dieser originellen Aufmachung mischte sich Letzkopf unter die vornehmen Höflinge und unterhielt sie ständig mit neuen Streichen. Mal versetzte er die Reitkappe des Grafen mit Läusen, mal erhitzte er einen Türknauf. Offenbar fand der Graf diese Streiche lustig. Als Letzkopf dann aber sämtliche Türschlösser mit Hölzchen verstopfte und daraufhin alle Türen aufgebrochen werden mussten, platzte dem Grafen der Kragen. Er verbannte den Hofnarr aus seinem Herrschaftsgebiet, bei Rückkehr drohte ihm der Tod – Letzkopf war zu weit gegangen.
Überschritten die Hofnarren diesen schmalen Grat mit ihren Kapriolen nicht, konnten sie gezielte Kritik an ihrem Herrscher und dessen Handlungen äussern. Dies zeigt ein Beispiel aus dem osmanischen Reich: Während im 14. Jahrhundert ein mongolisches Heer gegen den Sultan Bayezid I. zog, fokussierte sich jener darauf, eine Offiziersverschwörung zu zerschlagen. Doch kurz vor den Hinrichtungen der Übeltäter mischte sich sein Hofnarr Nasuddin Hodscha mit folgenden Worten ein:
«Wohlan, lasse sie alle köpfen! Du, o Beherrscher der Gläubigen, wirst dann die Fahne schwingen, ich rühre die Trommel, und so werden wir beide ganz allein gegen die Mongolen ziehen!»
Der Sultan erkannte die Weisheit hinter des Narren Worten und liess die Offiziere begnadigen, damit sie sich gemeinsam dem feindlichen Heer stellen konnten. Diese Schilderung verdeutlicht, dass die Narren durch ihre weitreichende Redefreiheit eine einzigartige Beraterfunktion am Hof einnehmen konnten. Hätte ein gewöhnlicher Berater eine solche Aussage gewagt, hätte er sich gleich zu den Verurteilten gesellen können, und der Sultan wäre, die Fahne einsam schwingend, von den Hufen der mongolischen Kavallerie zertrampelt worden.
Das einzigartigste Merkmal der Hofnarren war ihre scheinbare Gleichberechtigung mit dem Herrscher. Auf höfische Anrede und Unterwerfung durften sie verzichten; sie konnten sich selbst in die Herrscherrolle und umgekehrt den Herrscher in die Rolle des Narren stellen. Diese spielerische Umkehr der damaligen Normen diente der Belustigung, aber auch zum Ablassen von Frust. Durch solche Spässe konnte die ansonsten unbewegliche soziale Ordnung ohne Konsequenzen aufgeweicht werden. Wenn ein Herrscher in einer fürstlichen Runde zu seinem Hofnarren sagte, dass der doch eigentlich der bessere Herrscher wäre, so lautete die Antwort des Narren, dass er seinen Herrscher aber nicht als Narren haben wolle – worauf der Herrscher genüsslich lachte. Obwohl die Hofnarren also an der personellen Besetzung der sozialen Ordnung herumdrehen und Kritik üben konnten, so durften sie das Herrschaftssystem keinesfalls grundlegend in Frage stellen.
Am französischen Hof des 14. Jahrhunderts wurde im europäischen Kontext zum ersten Mal ein offizielles Amt des Hofnarren geschaffen. Narren gehörten von nun an zur höfischen Institution; Gesetze bestimmten ihre Berufskleidung. So mussten sie etwa eine Narrenkappe tragen, die sogenannte «Guge». Diese verlieh ihnen durch den Hahnenkamm und die Eselsohren ihr charakteristisches Aussehen und liess sie aus der Masse der Höflinge herausstechen. Das Hofnarrentum wurde so weit institutionalisiert, dass in der Stadt Troyes gar Hofnarren ausgebildet wurden. Diese wurden dann an den französischen Hof geliefert. Als König Charles V. der Narr ausging, bestellte er einen neuen: «Mein Narr ist gestorben; wollet mir nach alter Gewohnheit einen neuen senden!»
Es folgte die Blütezeit des europäischen Hofnarrentums. Quellen berichten von den Werdegängen zahlreicher Hofnarren zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert. Einige avancierten zu namhaften Theologen, während andere wiederum durch ihr privilegiertes Narrenamt ein grosses Vermögen anhäufen konnten. Die Hofnarren waren zu dieser Zeit fester Bestandteil der europäischen Höfe und unterstanden nur ihrem Herrscher.
Doch einige Hofnarren trieben – aus der Sicht der anderen Höflinge – ihr Spiel zu weit. Triboulet, ein berühmter französischer Hofnarr aus dem 15. Jahrhundert, neckte die anderen Höflinge unaufhörlich mit gemeinen Streichen und wähnte sich dabei in Sicherheit. Allerdings gingen einem Höfling diese Sticheleien eines Tages zu sehr auf die Nerven; er bedrohte Triboulet mit dem Tod. Verängstigt durch die Drohung ging dieser zu seinem König François I., mit der Bitte, ihm gemäss dem geltenden Recht zu helfen. Der König antwortete beschwingt: «Auf Ritterehre! Wenn der Kerl Dich totschlägt, lasse ich ihn eine Stunde später aufhängen!» Verzweifelt über die unüberlegte Aussage seines Herrn erwiderte Triboulet: «Sire, tun Sie das bitte eine Stunde vorher, sonst nützt es mir nichts mehr!» Solche und andere Geschichten aus jener Zeit des Übergangs vom Mittelalter in die Neuzeit sind durchaus amüsant und zeigen, wie das Hofnarrentum zunächst florierte. Trotzdem gerieten die fürstlichen Witzbolde im Epochenwechsel immer mehr unter Druck.
Im Zuge der Aufklärung verlor das Hofnarrentum zunehmend an Wichtigkeit und Akzeptanz. Moralisch hoben sich die Herrscher, in ihrer Stellung als Anführer, von den Narren ab. Sie wollten keine Witzfiguren neben sich stehen haben, die ihnen ihre Laster vor Augen führten. Trockene Vernunft ersetzte spielerischen Unfug. Die zwei wichtigsten Merkmale des Hofnarrentums, die Redefreiheit und die scheinbare Gleichstellung mit dem Herrscher, waren immer weniger gefragt. Das Hofnarrentum starb langsam aus – und sorgte in seinem Niedergang für eine tragische Geschichte.
Der Historiker Jacob Paul von Gundling wurde vom preussischen König Friedrich Wilhelm I. als «lustiger Rat» dazu eingestellt, jeweils am Abend vor dem Tabakkollegium – eine Art königlicher Stammtisch – unterhaltsame Narrengeschichten vorzutragen. Nun war aber von Gundling ein steifer, nach preussischer Art humorloser Mann – zu verklemmt, um die feierabendliche Männergesellschaft unterhalten zu können. Von Gundling musste also auf andere Weise zur Belustigung der Runde herhalten. So wurde er mit Alkohol abgefüllt, mit absurden Fragen verspottet, mit Streichen auf Kosten seiner Würde geplagt und zuweilen verprügelt. Kurz gesagt, er wurde wahrhaftig zum Narren gemacht. Als ihm sein Leben als Unterhaltungsprogramm leid wurde, versuchte er zu fliehen und sich in Wien niederzulassen. Allerdings lockte ihn der König mit haufenweise heuchlerischen Ehrungen an den Hof zurück, übergoss ihn mit Titeln und erhob ihn sogar in den Adelsstand. Während der König das bloss aus hämischer Fopperei machte, waren die Ehrungen für den armen von Gundling bitterer Ernst. Als Oberzeremonienmeister musste er ein narrenhaftes, für ihn gefertigtes und für die damalige Zeit lächerliches Tenue anziehen. Wie der Historiker Clemens Amelunxen schreibt, trug von Gundling «einen rotschwarzen Samtrock, eine überdimensionale Perücke, einen Hut mit riesigem Federbusch und Schuhe mit hohen Absätzen», die ihm nur kleine Trippelschritte erlaubten.
Von Gundling verkannte derweil des Königs Narretei und prunkte mit seinen Titeln, zum Spass des preussischen Hofes. Im Glauben daran, er hätte es zu etwas gebracht, starb von Gundling an den Folgen seiner übermässigen Trinkerei. Nicht als unzufriedener Sokrates, sondern als zufriedener Narr. Der Hofnarr von Gundling starb durch die Schikane seines Herren, da er diesen nicht zum Lachen bringen konnte.
Schliesslich wurden die letzten Hofnarren von den Mätressen der Herrscher endgültig abgelöst. Auch diese hatten eine unbestimmte und fragile Position am Hof, da ihre intime Beziehung zu den verheirateten Herrschern offiziell nicht existierte. Während die anderen Höflinge das akzeptierten, konnten die Hofnarren nicht anders, als sich über die Stellung der Liebhaberinnen der Herrscher lustig zu machen. Sie sprachen das Unaussprechbare aus und bedrohten die Existenz der Mätressen unmittelbar – und wohl auch den Ruf der Herrscher. Die zwei königsnahen Sonderpositionen, das eine im Untergang, das andere im Aufstieg begriffen, wurden durch die neuen Ideale der Aufklärung am vorbildhaften französischen Hof des 18. Jahrhunderts ausgetauscht. Neu war die Mätresse in der Position neben dem Herrscher: Hofnarr Angély wurde vom Hof verbannt, weil er die Marquise de Maintenon beleidigt hatte. Dieser strukturelle und ideelle Wandel zugunsten der Mätressen besiegelte das Schicksal aller Hofnarren Europas. So war nach kurzer Zeit kein Hofnarr mehr an einem europäischen Hof tätig. Durch die Vernunft der Aufklärung zum Untergang bestimmt und marginalisiert, wurde das Hofnarrentum durch den Aufstieg der scharfsinnigen Herzensdamen der europäischen Herrscher vollends verdrängt.
Die Narrenfreiheit war gleichsam Grund für Aufstieg, Blütezeit und Untergang der Hofnarren, für den politischen Erfolg eines Nasuddin Hodscha wie für das erbärmliche Versagen eines Jacob Paul von Gundling. Sie konkurrierten mit anderen, weniger privilegierten Höflingen, waren dem guten Willen ihres Herrschers ausgesetzt und wurden schliesslich von den Mätressen in ihrer herrschernahen Position verdrängt. Das Hofnarrentum war ein Spiel des Witzes und der Macht, bei dem die Hofnarren als wehrlose Bauern ständig Gefahr liefen, Schachmatt gesetzt zu werden.
Literatur:
Amelunxen, Clemens: Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren: erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 24. April 1991, Berlin; New York 1991.