Es erging ihr wie Millionen anderen Menschen: Letzten Mittwoch wachte Fiora auf und schlurfte schlaftrunken in die Küche. Dort erwartete sie aber nicht der erhoffte Kaffee, sondern ihr Mitbewohner, der ihr die Schreckensnachricht verkündete: Donald Trump war tatsächlich zum nächsten Präsidenten der USA gewählt worden. Jetzt, nach einer Woche Grübeln und Gesprächen, fühlt sich Fiora in der Lage, ihr Ohnmachtsgefühl abzulegen und an Aufbruch zu denken.
Es kostet mich Überwindung, mich auf die Texte über die Vergangenheit zu konzentrieren, die ein Geschichtsstudium mit sich bringt. Was soll all das Wissen, all die Einbettung und Kontextualisierung, wenn doch die Welt taktlos dreht? Und das Drehen doch immer gleichbleibt – unabhängig von dem, was ich tue?
Ich hatte dieses Gefühl bereits vor drei Jahren als ich mich für einige Zeit in der Türkei aufhielt. Nach einer Weile dort begann ich zu verstehen, dass viele die offizielle Politik als etwas weit Entferntes, Selbstständiges empfinden, das nichts mit ihnen zu tun hat. Als volksdemokratiegeprägte Schweizerin erschreckte mich diese Entkoppelung: sie verlieh mir das Gefühl, handlungsohnmächtig eingesperrt zu sein. Ich beobachtete, wie sich die Menschen in der türkischen Grossstadt, resigniert vom tausendmaligen Abwürgen ihrer politischen Agitation und der alltäglichen Überforderungen in diesem Chaos, zurückzogen in ihre Wohnungen mit ihren engsten Freunden und mit ihrer Familie.
Das waren meine ersten Gedanken nach Trumps Wahl, die als finaler Kulminationspunkt der politischen Trends der vergangenen Jahre auf mich wirkten. Ich fragte mich, ob der Rückzug aus dem politischen Tamtam meine persönliche Konsequenz (und möglicherweise auch die vieler anderer) aus all den tragischen politischen Entscheidungen der letzten Jahre sein kann.
Nach zahlreichen Gesprächen mit Leuten verschiedensten Alters, die meine gesellschaftliche Endzeit-Panik etwas beruhigten, kam mir eine neue Überlegung: Für diese Geschichte hier gibt es keine Vorbilder mehr (die ich mir insgeheim wohl bis dahin immer im Früher und den Erfahrungen weiser älterer Zeitgenossen erhofft habe). Diese Geschichte ist neu. Vielleicht ist das für eine Historikerin besonders schmerzhaft einzusehen. Dafür schenkt uns ebendiese Neuartigkeit Unabhängigkeit – die wir wollen oder nicht wollen – die uns jedenfalls auffordert, Neues zu denken.
Kurz darauf las ich einen Essay von Slavoj Žižek in der Zeit. Er zitierte darin Mao mit einer Interpretation Hölderlins: «Es herrscht grosse Unordnung unter dem Himmel, die Lage ist ausgezeichnet.» Ich würde nicht so weit gehen, das aktuelle politische und gesellschaftliche Panorama als ausgezeichnet zu bezeichnen. Doch von Tag zu Tag wird mir klarer, dass die Welt kaum je schwarz oder weiss zu verstehen ist; nicht, wenn du Zeitung liest, nicht, wenn du Forschung betreibst, nicht, wenn du über das Handeln von Personen nachdenkst. Das ist anstrengend und es macht haltlos; manche würden gar so weit gehen und es identitätslos nennen. Doch ich glaube nicht, dass Menschen je identitätslos sind. Wenn, dann passen sie nicht mehr in althergebrachte Kategorien und fixierte Ordnungen. Vielleicht müssen wir einfach den Mut aufbringen, aufzubrechen und fundamentale Änderungen auszuprobieren. Denn wenn nicht wir die Änderungen mitgestalten, geschehen sie mit uns und hinterlassen das bittere Gefühl einer ständigen Unzulänglichkeit.