Interessierten der Zürcher Lokalgeschichte bietet ein Frauenstadtrundgang zur Geschichte der Hexenverfolgung spannende Einblicke in vergangene Ereignisse dieser Stadt. Dabei bleibt nicht nur die eine oder andere historische Anekdote hängen; es wird ein wichtiges Kapitel der Frauen, die in dieser Stadt gelebt haben, nahbar erzählt.
Überraschend breit ist das Angebot an nicht-touristischen, historischen Rundgängen und Führungen in der Stadt Zürich. Da gibt es den Online-Rundgang des Vereins «Zürich Kolonial», der sich für eine Aufarbeitung der Zürcher Kolonialvergangenheit einsetzt, die Stattreisen, die den Fokus auf Quartiergeschichte legen und die Frauenstadtrundgänge, in denen es um Frauen- und Geschlechtergeschichte geht. Was kann ich als Geschichtsstudentin aus einer Führung zur Hexenverfolgung mitnehmen, nachdem ich das Thema im Studium bereits vertieft habe? Ein Erfahrungsbericht.
Für den Frauenstadtrundgang «Bezichtigt, gefoltert, hingerichtet – Hexenverfolgung in Zürich» besammeln wir uns am Limmatquai 56 zwischen Passant:innen und Touris. Eine erstaunlich grosse Gruppe kommt zusammen, quer durch alle Altersschichten, mehrheitlich – aber nicht nur – Frauen. Der Eintritt kostet für Student:innen oder Personen mit Kulturlegi 15 CHF (kann sogar mit TWINT bezahlt werden). Die beiden Leiterinnen stellen sich kurz vor und schon geht es los in Richtung Rathaus. Besonders gut gefällt mir, dass gleich zu Anfang auf den Historiker Otto Sigg verwiesen wird, auf dessen Forschung sich die Führung stützt.
Seit über 700 Jahren steht das Rathaus an der Limmat an derselben Stelle. Hauptsächlich dort wurden zwischen 1487 und 1701 85 Todesurteile wegen angeblicher Hexerei und Zauberei gefällt – 80 davon waren Frauen. Meist stammten die Angeklagten aus den Dorfgemeinden des Zürcher Stadtstaats, der etwa das Gebiet des heutigen Kanton Zürich umfasste. Oft dauerte es lange, bis aus den Gerüchten und Anschuldigungen ein Gerichtsfall wurde. Dann jedoch hatten die Angeklagten wenig Chancen, freigesprochen zu werden.
Die damalige Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit waren eng mit theologischen Prinzipien verknüpft. So war beispielsweise ein Geständnis die Voraussetzung für eine Verurteilung. Nicht auf alle Hexereiverbrechen stand die Todesstrafe. Die eigentlichen Anklagegründe traten im Prozess aber in den Hintergrund, denn wegen der Notwendigkeit eines Geständnisses wurden die Angeklagten im Wellenberg auf der Limmat gefangen gehalten und gefoltert. Der Kleine Rat fungierte dabei als Vernehmungs- und als Richtergremium, und verkörperte ausserdem Parlament und Exekutive. Eine Teilung der Gewalten wurde erst im 19. Jahrhundert eingeführt. Dies führte dazu, dass die Angeklagten schlussendlich meist alles gestanden. Verkündet wurde das Urteil auf dem Fischmarkt hinter dem Rathaus, bevor die Verurteilten zur Richtstätte geführt wurden.
Weiter geht es über Grossmünsterplatz und Kirchgasse bis zur Theologischen Fakultät. Etwas unbequem an der steilen Gasse stehend erfahren wir von einer Ausgabe des Hexenhammers in der Grossmünsterbibliothek. Das Buch des dominikanischen Inquisitors Heinrich Kramer von 1487 ist eine sehr detailreiche Anleitung zur Verfolgung und zum Verhören von vermeintlichen Hexen und Hexern. Dass in roter Farbe Unterstreichungen und Randbemerkungen gemacht wurden, ist ein deutlicher Hinweis dafür, dass das Buch vom Zürcher Gericht konsultiert wurde.
Am Manessebrunnen beim «Haus zur Meerkatze» darf man sich auf die lange Bank setzen und hört die Geschichte von Agatha Studler, die 1546 zum Tod durch Ertränken verurteilt wurde. Sie war die reichste Person in ganz Zürich und wurde beschuldigt, ihren 25 Jahre jüngeren zweiten Ehemann durch eine Pilgerfahrt oder den Solddienst loswerden zu wollen, damit sie ihr Geld wieder selbst verwalten konnte. Schon zum zweiten Mal wurde sie angeklagt und gestand schliesslich unter dem Einsatz von «Däumeleisen». Durch die Androhung, bei weiterer Folter ihr Geständnis zu widerrufen, konnte sie der Streckbank entgehen. Ein verzweifelter aber vielleicht auch kluger Schachzug, da unter dem Einfluss der Streckbank in der Regel «Beischlaf mit dem Teufel» gestanden wurde, was den Tod durch Verbrennen zur Folge gehabt hätte.
Weitere Stationen am Spiegelgasseplatz und an der Bootsanlegestelle am Limmatquai führen uns schliesslich zum Stadthaus, wo abschliessend die Aufarbeitung der Zürcher Hexenverfolgung und die Forderung nach einem Denkmal durch die Organisation «Pro Mahnmal» thematisiert werden. Dieser letzte Teil fällt etwas aus der Reihe, ist aber vermutlich als Übergang und quasi als Rückkehr in die Gegenwart gedacht. Für mich wäre der Limmatquai ein eindrücklicherer Abschluss gewesen. Von dort aus aufs Wasser blickend, auf die Stelle in der Limmat, wo vor 477 Jahren Agatha Studler ertränkt wurde, hören wir von den grausamen Hinrichtungen.
Obwohl ich viele Aspekte der Hexenverfolgungen schon kenne, berühren mich die Schicksale der unschuldig hingerichteten Frauen. Angefangen mit den harten Fakten beim Rathaus werden die Erzählungen während des Spaziergangs durch die Stadt immer persönlicher. Mit konkreten Fallbeispielen, dem örtlichen Bezug und individuellen Details zu den Verurteilten wird eine Nähe geschaffen, die mir auch nach der Führung in Erinnerungen bleiben wird. Eine wertvolle Fähigkeit, die mir im Geschichtsstudium manchmal etwas zu kurz kommt: das Geschichtenerzählen – ohne die ständigen Quellenverweise und Fragestellungen.
Für Interessierte gibt es neben den erwähnten noch viele weitere Geschichten zu erfahren. Der nächste Rundgang zur Geschichte der Hexenverfolgung findet am Samstag, 3. Juni um 16:15 Uhr statt.