Die spannendste Casting-Show der Zoom-Ära am Historischen Seminar geht in die nächste Runde. Zuletzt ging es um die Meisterschaft des Anthropozän – nun aber macht euch bereit für den Kampf ums erste Millennium in Asien und Europa! Sechs Mitstreiter*innen, zwei Tage, ein Ziel: In Beat Näfs Fussstapfen zu treten. Wer hat das Zeug dazu? Die etü-Redaktion hat sich die Vorträge von fünf der sechs Kandidat*innen näher angeschaut.
Dieses Mal bleibt keine Zeit zum Ausschlafen. Die erste Zoom-Sitzung startet am Donnerstag 22. April 2021, um 08:30 Uhr. Immer mehr Kacheln füllen sich, die strengen Gesichter der Teilnehmenden begutachten die erste Kandidatin. Jetzt gilt Ernst.
Wer die Zoom-Kacheln füllt? Professor*innen und Dozent*innen des Historischen Seminars, ebenso Studierende und die Berufungskommission. Jeder Stand ist vertreten.
Nach einem langwierigen Bewerbungsprozess erhalten diese potenziellen Nachfolger*innen nun die Möglichkeit, einen 25-minütigen Vortrag über ihr aktuelles Forschungsthema zu halten. Danach folgen das Ständegespräch sowie das Jobinterview mit der Kommission. Letztere stellt dann eine Berufungsliste mit drei Namen zusammen, aus denen schliesslich der oder die Nachfolger*in für den Lehrstuhl gewählt wird. Soviel zum Prozedere – nun geht’s ans Eingemachte.
«Leder von diesseits und jenseits der Grenze? Eine Ressource und ihre Rolle für die römische Ostgrenze im 3. Jhd. n. Chr.»
Leder? Seine Bedeutung als Ressource für das römische Reich? Ich bin beruhigt, als sich bei der Fragerunde zeigt, dass ich nicht die Einzige bin, die sich kaum etwas unter diesem Thema vorstellen kann. Trotz hohem Sprechtempo und vielen Zahlen zu Beginn versteht es diese Vortragende aus Köln, ihr Thema packend rüberzubringen. Anhand des Leders erläutert sie, dass die Ostgrenze des römischen Reiches im 3. Jahrhundert in erster Linie einen Wirtschaftsraum darstellte – im Gegensatz zur stark befestigten Nordgrenze. Die Kastelle entlang der Ostgrenze dienten so auch weniger der Verteidigung des Reiches, sondern waren vor allem dazu da, die Ein- und Ausfuhr von Ressourcen zu kontrollieren und die Verkehrswege zu sichern.
Dass ihr Ansatz neuartig und ihr Forschungsthema ziemlich unerforscht ist, zeigt sich bei den Fragen, die sie souverän beantwortet und auch mit anderen Themenbereichen wie der Ernährung verbindet: Ausgehend von der Frage, was mit dem Fleisch der 12’000 Kälber passierte, deren Leder für Zelte des römischen Heeres verarbeitet wurde, kommt die Kandidatin auf den erhöhten Fleischkonsum an den Orten, an denen das Leder produziert wurde, zu sprechen.
Etwas vage bleibt die Kandidatin jedoch bei der Frage, wie genau sie die Professur inhaltlich ausrichten würde. Sie meint, dass sie sich ausgehend von ihrer Forschungsarbeit in spätere Jahrhunderte bis zum Ende des Millenniums vorarbeiten würde. Aktuell ist sie dennoch relativ stark im 3. Jahrhundert verankert. Klarheit besteht aber bereits hinsichtlich der potenziellen Wohnsituation: Einer ihrer beiden Söhne, der begeistert Eishockey spielt, habe Küsnacht ausgewählt, erklärt die Anwärterin lächelnd. Dort könnten sie nämlich direkt neben einem Eishockeyfeld leben.
«Romania: die Entstehung der byzantinischen Welt»
Sie sei eine «Mittelalterhistorikerin, die den Sprung aus der Antike knapp noch geschafft hat», meint diese Kandidatin, und sie interessiere sich entsprechend besonders für die Wandlungsprozesse zwischen Antike und Mittelalter. Der Vortrag, in dem die Entstehung des Byzantinischen Reichs in fünf Kapiteln umrissen wird, ist klar strukturiert und verständlich präsentiert. Einziger Wermutstropfen ist, dass die Anwärterin durchgehend vom Blatt, beziehungsweise Bildschirm, abliest.
Da das Thema räumlich und zeitlich extrem weit gefasst ist, stellen mehrere Professor*innen sehr spezifische Fragen, die einige Male mit „Ich verstehe die Frage nicht ganz“ beantwortet werden. Beim zweiten Anlauf folgt aber dann eine kompetente, etwas nervös formulierte Antwort.
Im anschliessenden Ständegespräch betont die Bewerberin ihr Interesse an verschiedenen Fachbereichen und deren Schnittstellen. Für Studierende interessant: Würde sie die Stelle bekommen, würde sie am liebsten das ganze Millennium abdecken. Vorlesungen hat die Kandidatin bisher noch nicht gehalten, sie würde da aber (dann) möglichst frei sprechen wollen. Mögliche Seminarthemen wären zum Beispiel Pilger und religiöse Streitigkeiten, verschiedene Mentalitäten oder Ägypten vor und nach der Expansion.
Auf die Frage, ob und wie sie auch nichtakademische Berufsambitionen von Studierenden oder Doktorierenden unterstützen würde, meint sie, dass sie es als sehr wichtig empfindet, stets eine ehrliche Einschätzung abzugeben und gegebenenfalls auch von einer weiteren Laufbahn in der Wissenschaft abzuraten.
«Triumph und Apokalypse. Implikationen des römisch-persischen Friedens von 628 n. Chr.»
Gleich zu Beginn seines Vortrages hebt sich dieser Kanditat, der bereits eine Professur an einer deutschen Hochschule innehat, mit einem kleinen, aber feinen Detail ab: Er steht beim Präsentieren. Spürbar ist während des gesamten Vortrags eine grosse Sympathie für den Zürcher Universitätsstandort und die Schweiz allgemein. Er redet viel, ein wenig schnell und drückt sich sehr gewählt aus – manchmal fast schon etwas hochgestochen. Daran ist aber zunächst einmal nichts auszusetzen.
Für die Wahl des Titels ist aber schon eine kleine Rüge angemessen. Er tönt nämlich weitaus dramatischer als das Ereignis, das der Kandidat dann tatsächlich beschreibt: Der byzantinische Kaiser Herakleios versuchte 628, die öffentliche Wahrnehmung des Siegs über die Sassaniden zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Indem er die erbeutete (angebliche) Kreuzesreliquie zurück nach Jerusalem brachte, konstruierte er sich eine eigene Heilsgeschichte, die seinen Wechsel vom Soldatenkaiser hin zum christlichen Asketen unterstreichen sollte. So versuchte der Kaiser dem Machtzuwachs der Kirche und einem beginnenden negativen Narrativ ihm gegenüber zuvorzukommen. Eine spannende Geschichte – Triumph und Apokalypse, wie der Titel sie verspricht, scheinen darin aber nur eine Nebenrolle zu spielen.
Dies ist jedoch nur ein kleiner, nicht weiter tragischer Kritikpunkt an der Performance dieses Kandidaten, die insgesamt überzeugt. So auch im Ständegespräch: Zwar habe sein vorheriger Fokus eher auf dem Nahen Osten während des ersten Jahrtausends gelegen, er könne sich jedoch eine Profilerweiterung auf griechische und römische Kontexte gut vorstellen. Auch Konzepte für die allfällige zukünftige Lehre in Zürich hält dieser Bewerber parat: Eine separate (!) PowerPoint-Präsentation stellt Veranstaltungen in Aussicht, die möglichst nahe am aktuellen Wissenschaftsstand sind, einen Fokus auf Interdisziplinarität sowie eine bereits angedachte Summer School. Sogar eine eigene Online-Plattform, die ins nötige Handwerk für die Antikenforschung einführt, würde dieser Kandidat ans HS mitbringen.
«Das Fremde im Eigenen – Identität und Vergangenheit vom spätrömischen Reich bis zum abbasidischen Kalifat»
Dieser Althistoriker überzeugt (zumindest mich) gleich zu Beginn: Endlich jemand, der einen thematischen Vortrag hält und nicht ein komplettes Millennium chronologisch und gespickt mit ganz vielen wichtigen Daten herunterleiert. Auch wenn sein Vorhaben als «riskant» bezeichnet wurde, hat es der literarische Ansatz dieses Kandidaten in sich: Den Troja-Mythos und einen Text von Ibn Qutaybah auf Identitätskonstruktionen hin zu untersuchen, sie zu parallelisieren und damit einen fiktiven Ausgangspunkt zwischen Eroberten und Eroberern zu schaffen – all das lässt die Antike auf einmal weniger trocken erscheinen.
Den Vortrag hält der Bewerber stehend, was trotz der Distanz durch die Zoom-Kamera einen guten Eindruck macht. Das Thema ist komplex, doch kann man dank der deutlichen Artikulation auch als Laie jederzeit folgen. Nur manche Sätze sind ausschweifend, sodass einige vielleicht doch einmal den Faden verlieren.
Keine Frage scheint diesen Kandidaten aus der Fassung zu bringen, er beantwortet sie alle gekonnt und ausführlich, das gilt auch für das Ständegespräch. Hinsichtlich der Lehre betont er, es solle in seinen Seminaren keine Referate geben, sondern fundierte und gemeinsame Quellendiskussionen. Für die Lehre ist in seinen Augen Kommunikation das wichtigste, weshalb ihm studentische Feedbacks und der persönliche Kontakt mit dem Nachwuchs sehr wichtig sind. Jeder und jede, betont dieser Kandidat, soll seinen oder ihren eigenen Weg finden können.
«The First Iranians: Empire, Ethnicity, and a Eurasian Late Antiquity»
Dieser Bewerber führt uns ins antike Iran. Er selbst kommt aus Amerika und entschuldigt sich gleich zu Beginn in charmantem Deutsch, dass er seinen Vortrag auf Englisch halten werde, Fragen auf Deutsch aber herzlich willkommen seien.
Das Thema ist für die meisten Zuhörenden wohl Neuland, erschwerend kommt dazu, dass die zentrale These nicht von Anfang an klar ist. Auch wenn es nicht immer leicht ist, den Ausführungen zu folgen, ist die Geschichte, die sich langsam abzeichnet, faszinierend. Im antiken Mittleren Osten, so lernen wir, konstruierten die Perser und Parther neue Identitäten anhand einer mythischen Königslinie, der Adelige beider Völker angehören sollten. Diese mythischen Könige verstanden sich dann als Iraner. Dadurch, so die These, wurde eine Dichotomie zwischen Iranern und Nicht-Iranern geschaffen, die als Machtlegitimation für die iranische Vorherrschaft diente. Es fällt auf, dass der Kandidat einen Grossteil des Vortrages abliest. Ob das wohl auch in seinen Vorlesungen der Fall wäre? Auf die Fragen aus dem Publikum antwortet der Kandidat jedoch schlagfertig und klar verständlich, dabei fördert er einen scheinbar unerschöpflichen Speicher an Wissen zutage. Ganz sicher wäre es eine willkommene Abwechslung, einen Professor in Zürich begrüssen zu dürfen, dessen Schwerpunkt nicht im antiken Rom oder Griechenland liegt. Das würde auch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den asiatischen und europäischen Geschichtswissenschaften begünstigen, die, so betont der Kandidat, ihm besonders am Herzen liegt.