In der Gemeinde der Basler Mission an der westafrikanischen Goldküste gibt es zahlreiche Sklavenhalter. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Missionsleitung beschliesst, alle SklavInnen zu befreien. Der Fall des Katechisten und Sklavenhalters Thomas Svanikjer aber zeigt, dass das nicht ganz einfach ist – und wirft die Frage auf, ob man von Befreiung sprechen kann.
Seit ihrem Aufbau im frühen 19. Jahrhundert hat die Basler Missionsgemeinde an der Goldküste beim heutigen Ghana Mühen mit tropischen Krankheiten und damit verbundenem Personalmangel. Aus der schwierigen Startphase lernen die Missionare, dass es wichtig ist, mit dem lokalen Personal zusammenzuarbeiten: Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, aber unter anderem auch, um den Umgang mit lokalen Eliten zu erleichtern und um Übersetzer zu konsultieren. Die Katechisten und Hilfskatechisten werden aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert und nach der Katechistenordnung von 1863 dazu ausgebildet, Bibelklassen zu leiten und unter NichtchristInnen zu predigen, um sie zu konvertieren. Aus praktischen Gründen rekrutiert die Mission häufig Leute europäisch-afrikanischer Abstammung. Einer von ihnen ist Thomas Svanikjer. Er befindet sich, wie viele, in einem Konflikt, steht bald zwischen der Mission und seiner Familie. Sein Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, den Erwartungen beider Zugehörigkeiten gerecht zu werden.
Schon seit dem Aufbau der Mission an der Goldküste machen ihre Mitglieder Gebrauch von Sklavenarbeit. Gleichzeitig kauft die Missionsleitung Sklaven frei. Aber auch diese «freigekauften» SklavInnen müssen ihre Schuld gegenüber der Mission auf den Plantagen abarbeiten und stehen so in neuen Abhängigkeitsverhältnissen. Die Verantwortlichen in Basel können dies nicht mit sich vereinbaren, vor allem, weil sie ihre Legitimation für das Wirken an der Goldküste unter anderem aus der Sklavenbefreiung schöpfen. Laut dem Missionsmagazin von 1863 ist die Abwesenheit des Christentums der Grund für ein «furchtbares Sündenregister» jedes «Heidenvolkes». Die Sklaverei gehört in dieses Sündenregister.
So nimmt 1861, beauftragt von den Verantwortlichen in Basel, die Sclavenemanzipationscommission (SEC) ihre Arbeit an der Goldküste auf. Laut ihren Protokollen befinden sich zu diesem Zeitpunkt 26 Sklavenhalter mit über 240 SklavInnen in der Gemeinde. Zusätzlich gibt die Basler Mission im selben Jahr eine Instruction für Missionare heraus – eine Anleitung, wie man mit Sklavenhaltern und SklavInnen umzugehen hat. Auch sie hält fest, dass der Besitz von SklavInnen nicht vereinbar sei mit den christlichen Werten, deswegen müssten alle Sklavenhalter in der Gemeinde «alle ihre Sklaven sogleich formell und öffentlich für frei erklären und innerhalb eines halben Jahrs factisch und wirklich vollkommen freilassen.» Ansonsten würden sie aus der Gemeinde verstossen. Zudem hält die Instruction fest, dass SklavInnen nicht nur befreit, sondern in die Mission integriert werden sollen, damit man sich um sie kümmern und sie erziehen kann. Der Missionsgedanke ist bei der Sklavenbefreiung stets präsent.
Dass solche Fristen wie diejenige der Instruction nicht immer eingehalten werden konnten, zeigen die Verhandlungen der SEC über die Freilassung der SklavInnen des Katechisten Thomas Svanikjer, festgehalten in einem Protokoll des Missionars Elias Schrenk. Svanikjer ist nicht nur Katechist, sondern auch Oberhaupt einer Familie, die 78 SklavInnen besitzt. Zusätzlich befinden sich zwei Versklavte in seinem persönlichen Besitz. In der ersten Sitzung mit der SEC erklärt sich Svanikjer dazu bereit, seine beiden persönlichen Sklaven sofort zu entlassen und schlägt vor, für 250 Dollar wirtschaftliche Entschädigung die Position als Familienoberhaupt an seine Schwester Frederike abzugeben. Somit würden ihm keine Sklaven mehr unterstehen. Die SEC stimmt zu und will ihn unter diesen Umständen als Katechisten beibehalten. Die Familie Svanikjers kann sich jedoch nicht mit diesem Entscheid anfreunden und duldet seinen Rücktritt vom Amt als Familienoberhaupt nicht. Es folgen weitere Treffen zwischen der SEC und Svanikjer, wobei die Kommission ihn davon zu überzeugen versucht, dass er die Familie unglücklich mache, wenn er die Position als Katechist verliere. Weil Svanikjer den Posten der «Häuptlingschaft», wie es Missionar Schrenk im Protokoll problematisch bezeichnet, nicht aufgeben kann, beschliesst die Mission, ihn als Katechisten zu feuern. Die Missionsgemeinde an der Goldküste verlangt vom Komitee in Basel, dass man Svanikjer eine «Schlussgratification» auszahle, diese willigt aber dazu nicht ein.
Auch Svanikjer gibt sein Katechistenamt noch nicht auf. Er behauptet gegenüber der SEC, dass man die SklavInnen nicht sofort freilassen könne, weil sie sich dann selbst aus Hilflosigkeit erneut verkaufen und in Sklaverei begeben würden. Deswegen wolle er sie behalten und ihnen als Katechist Arbeit in seinem Dorf verschaffen, sodass sie organisiert in die Freiheit entlassen werden könnten. Die SEC zeigt sich unbeeindruckt von einer solchen Lösung und Svanikjer wird erneut davor gewarnt, entlassen zu werden, wenn er sein Amt als Familienoberhaupt nicht aufgebe. Schliesslich entscheidet sich Svanikjer für die Mission und übergibt das Amt seiner Schwester. Drei Jahre später aber verstirbt sie – und Svanikjer wird erneut Familienoberhaupt. Die Verhandlungen zwischen ihm und der SEC setzen sich 1868 fort. Der erneute Rücktritt als Familienoberhaupt ist unwahrscheinlich, stattdessen geht es bei den Verhandlungen von nun an um die Freilassungsbedingungen der Sklaven.
Svanikjer schlägt nun zwei Optionen für die Sklavenfreilassung vor: Entweder er entlässt 36 SklavInnen in die Freiheit und dafür kauft ihm die Mission später die restlichen 36 der momentan 72 SklavInnen ab. Oder alle SklavInnen werden sofort in die Freiheit entlassen, dann will Svanikjer aber einen Vorschuss, um andere für Geld auf seinem Land arbeiten zu lassen. Innerhalb von vier Jahren würde er der Mission diesen Vorschuss zurückzahlen. Bevor sich die Mission auf eine Einigung einlässt, will sie eine Liste der Sklaven in Svanikjers Besitz, um zu wissen, wie alt sie sind – denn das ist für die Mission von grosser Bedeutung.
Die Basler Mission bietet dem Katechisten an, ihm die 38 jüngsten SklavInnen abzukaufen und in der Mission aufzunehmen, um ihre «Freiheit» und Konvertierung sicherzustellen. Die restlichen, älteren SklavInnen sind nicht Teil dieses Angebots. Sklavenbefreiung und Missionierung gehen also Hand in Hand: Die SklavInnen sollen nicht einfach befreit werden, sondern es wird abgeschätzt, ob sie einen Nutzen für das Wachstum der Missionsgemeinde und die Verbreitung des Christentums haben könnten. Im Falle Svanikjers löst sich die Angelegenheit schliesslich aber nicht über ein Abkommen: Nach langen Verhandlungen trifft die SEC 1872 die Entscheidung, dass Svanikjer psychologisch nicht fähig sei, Katechist zu bleiben: Die Arbeit für die Mission müsse über den privaten oder wirtschaftlichen Angelegenheiten ausserhalb der Mission stehen, was auf Svanikjer nicht zutreffe.
Sie bietet ihm schliesslich eine Stelle als Pastorassistent an und will ihm jeden Sklaven und jede Sklavin unter 15 Jahren für 20$ abkaufen. Für Svanikjer und seine Familie kommt das nicht in Frage. Mit dieser Lösung würde er nicht nur eine schlechter bezahlte Stelle übernehmen als zuvor, auch die Familie würde ohne die SklavInnen wirtschaftlich schlechter dastehen. Svanikjer, der sich sowohl der Mission als auch seiner Familie zugehörig fühlt, ist gespalten. Weil man so zu keiner Einigung kommt, wird er noch im selben Jahr aus der Gemeinde verbannt.
Es stellt sich hier aber die Frage, inwiefern die SklavInnen überhaupt frei geworden wären, hätte Svanikjer dem Angebot zugestimmt. Sie wären dann in der Gemeinde vermutlich neuen Abhängigkeitsverhältnissen ausgesetzt gewesen, denn die Mission wollte die Sklaven weniger frei- als vielmehr abkaufen. Von einer tatsächlichen Befreiung hätte man wahrscheinlich auch in diesem Fall nicht sprechen können.