Anfang des Jahres wurden alle Fachbibliotheken der UZH unter dem Dach der Universitätsbibliothek zentralisiert. Dies ist keine rein formale oder organisatorische Änderung, sondern hat massgebliche Folgen für die Nutzenden der Bibliotheken. Die bisherigen Erfahrungen der Studierenden lassen allerdings zu wünschen übrig. Ein Bericht von Wanderungen quer durch die Uni, gebührenpflichtigen Mahnungen und einem kaputten Selbstausleihsystem.
Anonyme Bibliotheksexpert*innen attestierten 2016 den zahlreichen Fachbibliotheken der UZH in einem zweifelhaften Gutachten Ineffizienz und Doppelspurigkeit. Die grösste Problemzone sei dabei die Philosophische Fakultät. Aufgrund dieses Urteils arbeitete die Unileitung in den vergangenen Jahren einen Plan aus, um alle Fakultätsbibliotheken organisatorisch zu zentralisieren und die Bibliotheksstandorte um zirka 50% (von heute 44 Bibliotheken bis mittel- und langfristig auf 18-23) zu reduzieren. «Anlass für letzteres Vorhaben war auch die Immobilienentwicklungsstrategie des Kantons Zürich für die Universität», wie der etü bereits 2018 berichtete.
Am 1. Januar diesen Jahres wurden nun alle Instituts- und Fakultätsbibliotheken der UZH unter dem Dach der neuen Universitätsbibliothek (kurz UB) zusammengefasst – die ehemalige HS-Bibliothek ist nun die Geschichtsbibliothek der UB. Im offiziellen Communiqué der Uni heisst es: «Die Benutzerinnen und Benutzer können ab Januar den gewohnten Service erwarten und werden beim Gang in ihre Bibliothek meist wenig Veränderungen bemerken.»
Die Realität in der Geschichtsbibliothek sieht aber anders aus, denn es gibt keinen besetzten Schalter mehr. Für spontane Fragen müssen wir uns neuerdings an den Schalter der Philo-Bib wenden.
Ein Mitglied der etü-Redaktion berichtete, wie er ein Buch nicht fand, und deshalb den ungefähr fünf-minütigen Fussweg zur Philo-Bib antreten musste. Der Mitarbeiter begleitete ihn zurück zur Geschichtsbibliothek, half ihm dort, das Buch zu finden, um anschliessend wieder zurück zu seinem Schalter in der Philo-Bib zu laufen. Ein für Studierende und Mitarbeitende sinnvolles und effizientes Hilfsangebot sieht anders aus. Vielleicht war die von der Unileitung angestrebte Verbesserung hier aber das zusätzliche Laufprogramm für die Studierenden und die Mitarbeiter*innen…
Und was passiert, wenn fachliche Fragen auftauchen, zu Recherche oder den Beständen? Bisher standen uns in solchen Fällen die Bibliothekarinnen zur Verfügung, die den Bestand der Bibliothek in und auswendig kannten, weil sie für die Buchbeschaffungen und die Pflege der Bestände zuständig waren. Mit der Überführung der HS-Bibliothek in die UB sind «unsere» Bibliothekarinnen aber nur noch im Hintergrund tätig (bei der Buchbeschaffung etc.) und für die Studierenden nicht mehr erreichbar. Dafür gibt es das neue Angebot, online einen Termin bei einer*m Liaison Librarian zu buchen. Die Beratung erfolgt dann per Teams oder Telefon. Spontane Hilfe gibt es somit nicht mehr. Und warum wurde eigentlich diese schwer auszusprechende französisch-englische Bezeichnung gewählt?
Das Fehlen des Bibliotheksschalters warf auch weitere, vermeintlich kleinere administrative Fragen auf, etwa betreffend der Schliessfächer vor der Bibliothek: Wo sollen diese nun bezahlt werden? Die 5 Fr. Miete für ein Schliessfach im Geschichtstrakt konnte bis zum letzten Semester am Schalter der HS-Bibliothek bezahlt werden. Eine etü-Autorin, die bis anhin ein solches Schliessfach mietete, wurde nicht darüber aufgeklärt, wo neuerdings die 5 Fr. zu zahlen sind, weshalb sie nach wenigen Tagen eine Mahnung bekam. Die Studentin wendete sich an den Schalter in der Philosophischen Bibliothek, wo sie angewiesen wurde, den Betrag bar und passend zu bezahlen, weil es in der Philo-Bib kein Kässeli gäbe. Die 5 Fr. wurden beglichen, aber offenbar nicht ins System eingetragen, denn wenige Tage später folgte die zweite, gebührenpflichtige Mahnung. Die Studentin wandte sich also nochmals an den Schalter in der Philo-Bib, wo der Mitarbeiter die Mahnung löschte und ihr mitteilte, die Schliessfächer seien sogar gratis – warum fiel das nicht schon beim ersten Zahlvorgang auf? Dass die Schliessfachmiete nichts mehr kostet, ist zu begrüssen; dass die etü-Autorin aber eine kostenpflichtige Mahnung für eine kostenfreie Dienstleistung bekam, ist ziemlich absurd.
Die schalterlose Bibliothek kann noch mehr, nämlich Selbstausleihe. Grundsätzlich ist ein Selbstausleihsystem keine schlechte Sache, in anderen Bibliotheken funktioniert das sehr gut. Die dortigen Geräte erkennen den Chip im Buch zumeist auf Anhieb und das Ausleihen lässt sich schnell und unkompliziert erledigen. In der Geschichtsbibliothek funktioniert die Selbstausleihe jedoch über einen pistolenförmigen Barcode-Leser, der den Code noch nie im ersten Anlauf erkannt hat. Mit dem im ganzen Raum hörbaren Piepen des Geräts zog zudem der acoustic turn in die Bibliothehk ein. Der akustische Störfaktor ist zwischenzeitlich aber verstummt: In den Wochen vor Ostern hing ein Schild am Bildschirm der Selbstausleihe: «Die Selbstausleihe nicht funktioniert leider zur Zeit nicht. […] Bitte füllen Sie einen Papierschein aus und legen Sie ihn in das bereitgestellte Kästli […]»
Einen Vorteil für uns Studierende haben die organisatorischen Änderungen. Ausgeliehene Bücher können in allen Bibliotheken der UB und sogar in der ZB abgegeben werden und teilweise auch kostenlos an andere Standorte bestellt werden.
Die grossen Änderungen in der Bibliothekslandschaft der UZH stehen aber erst an, denn die Zentralisierung der Fachbibliotheken ist nur der Anfang einer grossen Bibliotheksreform. Für einige Standorte plant die UZH das sogenannte Open-Library-Konzept. Mit der Legi soll man auch nach den regulären Öffnungszeiten Zugang zur Bibliothek haben. Entspricht das den Bedürfnissen der Studierenden? Wollen wir in der Nacht in eine Geisterbibliothek können? Wichtiger als eine unbesetzte, jederzeit besuchbare Bibliothek scheinen mir längere Öffnungszeiten der einzelnen Bibliotheksstandorte mit Personal. Denn neuerdings schliesst unsere Bibliothek bereits um 17 Uhr.
Die Umstrukturierungen werden sich auch auf die Bestände auswirken: Als die Fachbibliotheken noch den Fakultäten untergeordnet waren, konnten diese bestimmen, welche Neuanschaffungen getätigt werden sollen. Die Sorge, dass es durch die Entkoppelung der Fachbibliotheken von den Fakultäten zu einer fachlichen Qualitätseinbusse kommen könnte, dementierte Christian Schwarzenegger, Jurist und Prorektor der UZH, in einem Interview von 2018: Die Fakultäten hätten nämlich weiterhin ein Mitspracherecht. Leider nur ist ein Mitspracherecht keine Entscheidungskompetenz. Ein Qualitätsabbau im Buchbestand der geisteswissenschaftlichen Bibliotheken ist also vorprogrammiert, denn genau bei diesen Bibliotheken liege ja die Problemzone. Der neue Fokus der UB soll dann auch auf digitalen Büchern und E-Papers liegen, während Präsenzbestände verkleinert werden. Gerade in den Geisteswissenschaften sind physische Bücher sehr beliebt, für eine Seminararbeit 20 Monografien digital durchzulesen wäre nämlich ziemlich mühsam. Prorektor Schwarzenegger äusserte sich 2018 zur Reduktion der Präsenzbestände folgendermassen:
«Viele Standardwerke, Lexika und Zeitschriften stehen doppelt oder mehrfach in den Regalen. Wenn die Institutsbibliotheken im FORUM UZH zusammengeführt werden (geplant für 2026), ist es nicht mehr notwendig, alle diese Bücher mehrfach aufzustellen. Einige sind digital verfügbar, bei anderen entsteht kein Nachteil, wenn nur ein Exemplar in der Bibliothek stehen bleibt. Diese Art einer sorgfältigen Bestandsreduktion ist vorgesehen. Wir gewinnen damit Fläche – das ist der teuerste Faktor im Bibliotheksbereich.»
Diese Aussage eröffnet, worum es bei der
Bibliothekreform geht, nämlich um ein neoliberales Spar- und Rationalisierungsprogramm,
welches derzeit an verschiedenen Orten an der UZH spürbar ist. Im Bereich der
Mensen sind Preiserhöhungen (unter dem Deckmantel der Umweltbilanz), verkürzte
Öffnungszeiten und zuletzt auch die Schliessung des Cafés im Hauptgebäude erfolgt.
Im grossen Rahmen ist auch die europaweite Studienreform Bologna 2020
ein Ausdruck einer Hochschulpolitik, die auf Einheitlichkeit und Effizienz
setzt, anstatt sich an den Bedürfnissen der Studierenden, Mitarbeitenden und
Dozierenden zu orientieren.