Die Stadt Zürich, wie Geflüchtete sie sehen

Der Hauptbahnhof Zürich, Dreh- und Angelpunkt auch für Asylsuchende, Bild: Valentin Rubin

Eine Führung eines Geflüchteten aus Eritrea durch die Stadt Zürich – zugegeben, nicht die naheliegendste Wahl für mich als Schweizer. Allerdings handelt es sich nicht um eine herkömmliche Stadtführung mit Sehenswürdigkeiten-Abklappern. Die Führung ermöglicht es Einheimischen, in die Welt der Geflüchteten in Zürich einzutauchen.

Okbaab stammt aus Eritrea. Vor acht Jahren kam er als Asylsuchender in die Schweiz. Nach langem Verfahren zur Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung gleiste der nun gelernte Logistiker zusammen mit dem Verein Architecture for Refugees ein Projekt auf, welches angekommenen Geflüchteten Orientierung in der Stadt Zürich bieten soll. Wo holt man sich Ressourcen, um sich kulturell und sozial in die Stadt zu integrieren? Welche Möglichkeiten bestehen, um unter die Leute zu kommen? Die Lösung lag für ihn auf der Hand: eine Führung soll’s richten. Eine Führung durch diejenigen Teile der Stadt, die ihm selbst geholfen haben, sich einzugliedern. Doch was ihm immer wieder auffiel: so sehr die Integration auch angestrebt wurde, so schwierig blieb es doch, die Welt der Geflüchteten mit derjenigen der Einheimischen zu verknüpfen. Daher erweiterte Okbaab das Projekt und bietet seit einiger Zeit dieselben Führungen für Einheimische, Stadtzürcher und sonstige Interessierte an. «Auch die Einheimischen müssen sich integrieren», meint Okbaab mit einem Schmunzeln. Er wolle, dass der Alltag und das Leben von Geflüchteten auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich sind. So führt der erste Stopp der Führung zur Pestalozzi-Bibliothek, in der Okbaab selbst viel Zeit verbracht hat, sich Bücher über die Umgebung, über die Stadt, das Land ausgeliehen hat. «Es gibt CDs, mit denen man sehr gut Sprachen lernen kann. Und ich konnte die Mitgliederkarte der Bibliothek gratis beziehen», erinnert sich Okbaab.

Eine wichtige Rolle spielt auch die Autonome Schule Zürich (ASZ), eine weitere Station der Tour. Man müsse sich die Schulsituation nicht so vorstellen wie in den sonstigen Schulen des Kantons, meint Okbaab. «Es ist sehr eng in den Zimmern, man könnte fast meinen, die Schule versucht herauszufinden, wie viele Leute in ein Klassenzimmer passen, sodass der Unterricht noch funktionieren kann.» Unter der Gruppe von Zuhörern befinden sich einige weitere Geflüchtete, die mit den Leuten reden und von ihren Erfahrungen berichten. Darunter auch Malik, der vor eineinhalb Jahren von Syrien in die Schweiz geflüchtet ist. Auch er hat in der ASZ Deutsch gelernt. Er hält viel von der Schule und betont im Gespräch, dass alles auf freiwilliger Arbeit basiere: «Niemand, der mitmacht, verdient etwas daran. Es ist gut, dass es so etwas wie die ASZ in Zürich gibt. Ich hatte Glück und konnte bleiben, als ich hier angekommen bin. Im Kanton Aargau beispielsweise gibt es keine vergleichbare Schule.» Die Schule ist ein offenes Zentrum für alle. Es sei wichtig, dass die ankommenden Geflüchteten davon wüssten. «Oft muss man ein bis zwei Jahre warten, bis man den definitiven Asylentscheid erhält. Damit verbunden ist eine lange Wartezeit, in der Langeweile aufkommt.» Daher führt Okbaab die Gruppe auch durch den Hauptbahnhof und von dort zum Platzspitz, denn das seien ebenfalls wichtige Orte, an denen man sich treffe, sich austausche, informiere und ab und zu auch ein Bier trinke. «Diese Art von Gesellschaft ist für Ankömmlinge wichtig, um an Informationen zu gelangen.»

Fernab des Stadtgetümmels, an der Aargauerstrasse in Altstetten, erhaschen wir noch einen Einblick in eine temporäre Wohnsiedlung vorläufig aufgenommener Asylsuchender. Diese haben die Möglichkeit zu arbeiten, doch meist bleiben die Türen zur Arbeitswelt verschlossen. «Nicht viele Leute wollen vorläufig Aufgenommene anstellen, denn niemand weiss, wie lange diese noch in der Schweiz bleiben.» Für Okbaab ist dies ein sichtlich emotionales Thema. Auch dass die Wohnsiedlung an der Stadtgrenze liegt, dort, wo sie fast niemand wahrnimmt, findet er nicht ideal. «So viel zu guter Integration», meint ein Mitorganisator von Architectures for Refugees, der die Tour ebenfalls begleitet, mit Sarkasmus.

Eine Führung durch Zürich von Geflüchteten – sie bleibt ein Versuch unter vielen, die Welten von Einheimischen und Zugewanderten anzunähern. Gelungene Integration braucht mehr als das, und doch bietet das Engagement von Menschen wie Okbaab einen Ansatzpunkt.


Titelbild: Der Hauptbahnhof Zürich, Dreh- und Angelpunkt auch für Asylsuchende