Oxbridge–rejects und toxische Lad-Culture prägen das Leben in der malerischen Kleinstadt im Norden Englands. Ich verbrachte dort ein ganzes Jahr an der Universität. Zwischen elitärem Getue und Kaffeepausen erlebte ich ein typisches Austauschjahr: Viele Ups, viele Downs, viele Siegelringe (just me?) und viel Heimweh.
Ganz meinen Erwartungen entsprechend begrüsste mich die nordenglische Stadt Durham mit Regen. Mit meinem schweren Rucksack stolperte ich am Bahnhof in ein Taxi. Es brachte mich in mein zukünftiges Zuhause, das Josephine Butler College. Das acht Quadratmeter grosse Zimmer, in dem ich knapp meine Yoga-Matte ausbreiten konnte, würde mir in den nächsten Monaten so ans Herz wachsen, dass ich es heute fast vermisse. Mein Jahr in Durham ist, beinahe wie eine griechische Tragödie, in drei Trimestern zusammenzufassen. Tragödie passt. Durham überstehen nämlich nicht alle.
Alle Stereotypen über die englische Trinkkultur und Upper-Class sind wahr. Diese zwei definierten den Michaelmas Term in Durham. Denn die University of Durham ist eine Elite-Uni. Sie kämpft seit Jahren mit dem Ruf, dass alle, die zu dumm für Oxbridge, aber reich genug für eine Elite-Uni sind, in Durham studieren. Und das ist spürbar. Upper-Class Kinder scheren sich nicht besonders darum, ob sie ihre Prüfungen bestehen oder nicht. Viel wichtiger ist es, Spass zu haben und lukrative Verbindungen für’s spätere Leben zu schliessen. So verbrachte ich die ersten Wochen an Pferderennen, wo über Boris Johnson diskutiert wurde. Ich ging mit Leuten aus, die im dämmrigen Club-Licht ihre Siegelringe verglichen. Und ich musste an den Formals des Josephine Butler Colleges (aufgeputzte Dinners mit Dresscode) aufstehen, um «God save the Queen» zu singen.
Die Uni war klar zweitrangig. Wie mein Mitbewohner mir schon am ersten Tag sagte: An der Durham University wird nicht studiert, es wird gelebt. Die Uni verfügt über ein riesiges Freizeitangebot, das vom Quidditch Club bis zu Cricket und der Hummus Society reicht. Es ist normal, dass Seminare nur alle zwei Wochen stattfinden und Vorlesungen nur 45 Minuten dauern, man soll ja nicht zu viel Zeit in den Uni-Gebäuden verbringen.
Ich genoss das Privileg, die volle Durham-Experience zu machen und durfte durch Zufall in einem College wohnen (Austauschstudierende müssen normalerweise privat eine Unterkunft suchen. Wie man mir sagte, sei das aber relativ einfach). Zu fünft wohnten wir in einer Studierendenwohnung, weshalb ich fast ausschliesslich Engländer*innen kennenlernte. Eines meiner Ziele konnte ich dadurch erreichen: ich spreche jetzt mit (fast) perfektem posh accent. Allerdings lernte ich dadurch auch die unangenehme Seite von Durham kennen: das Working-Class feindliche Gehabe oder die toxische Lad-Culture sind nur Beispiele von einer Uni-Kultur, die ich so nicht gekannt habe. Wie alle Austauschstudierenden hatte ich deshalb auch oft Heimweh. Als Omikron nach England kam, reiste ich für Weihnachten also umgehend ab.
Weil Boris Johnson lieber Party machte, als sich um Omikron zu kümmern, wurden in einer geistigen Umnachtung alle Corona-Massnahmen aufgehoben und ich reiste zurück nach Durham. Der zweite Term sollte meine beste, aber auch meine chaotischste Zeit werden. Meine Woche sah etwa so aus:
Das ständige ausgehen machte einerseits spass, führte in meinem Umfeld aber auch zu viel Drama. Die Universität Durham kämpft mit einer Kultur geprägt von toxischer Männlichkeit, ein Problem, das sie bisher unfähig war zu lösen. Einigen wurde dies zum Verhängnis. Menschen, die mir sehr ans Herz gewachsen waren, brachen ihr Studium ab, weil Durhams elitäre Atmosphäre nicht mehr aushaltbar war. Ausserdem ist Durham so klein, dass man dem Ganzen nicht entkommen kann. Die Uni ist omnipräsent und die Stadt gehört den Studierenden. Ich glaube, dass ich erst in meinem zweiten Term zum ersten Mal eine alte Frau auf der Strasse sah.
Irgendwie habe ich es aber ausgehalten. Ich denke, das lag an einem geschickten Ausbalancieren von elitären Bällen und Kaffeepausen in einem von Durhams vielen Cafés. Wie mein Dozent einmal sagte: Durham ist die einzige Stadt in England, die mehr Cafés als Locals hat.
Im Easter Term wurde es plötzlich anstrengend. In den Geisteswissenschaften legt man keine Prüfungen ab, sondern schreibt Essays. Dabei geht es darum, die eigene Meinung gekonnt zu verteidigen. Es war ungewohnt, aber irgendwie machte es auch Spass, keine Fakten auswendig zu lernen, sondern sich in ein Thema einzulesen, eine Meinung zu bilden und sie dann mit hochgestochenen Phrasen zu verteidigen.
Als die Essays abgetippt waren, kehrte in Durham die Party-Stimmung zurück. Wirklich lustig fand ich es aber nach Epiphany nicht mehr. Also verbrachte ich praktisch jeden Abend mit Freundinnen im Halfmoon Inn, wo wir über das Klassenbewusstsein an der Durham Universität philosophierten, während wir unsere IPAs tranken.
Corona war leider noch nicht verschwunden, und so war ich während meinen letzten Wochen in Durham in Quarantäne. Als mich meine Grossmutter und Mutter am letzten Quarantäne-Tag für einen Roadtrip abholten, war ich in regelrechter Aufbruchsstimmung. Ein bisschen weh tat es trotzdem, meinen Zimmerschlüssel abzugeben. Trotz allem ist Durham ein kleines bisschen Heimat geworden. Durham ist chaotisch, elitär und in all seiner Sozialität manchmal echt isolierend. Aber ein ganzes Jahr kann eben nicht nur fun and games sein. Und immerhin: in keiner Stadt der Welt kann man so gut käfelen gehen.
Etü abroad Rating
Uni: Zweitrangig
★★★☆☆
Der Aufwand ist klein, ECTS bekommt man viele. Ich glaube ja, die Dozierenden sind es sich nicht gewohnt, wenn die Studierenden tatsächlich dort sind, um zu studieren. Deshalb wird man krass belohnt, wenn man tatsächlich mal etwas macht. Die Dozierenden sind aber kompetent und hilfsbereit, auch wenn sie unstrukturierter (chaotischer) dozieren als an der Uni Zürich.
Freizeit: Super, wenn man eine Mitte zwischen Party und Spaziergängen findet
★★★☆☆
Party, Societies und Sport. An der University of Durham ist man sozial schnell integriert, es ist einfach am Uni-Leben teilzunehmen. Allerdings ist es auch extrem schwierig, dem ganzen zu entkommen und sich zurückzuziehen. Die Uni bestimmt die Freizeit und weil die Stadt der Uni gehört, ist man quasi ständig auf Strom. Ist man extrovertiert und geht gerne in den Ausgang, dann ist Durham der richtige Ort. Sonst kann es ab und zu etwas isolierend und eintönig sein.
Wohnen: So wie in den Ami-Filmen
★★★★★
Super, wenn man den in einem College wohnen darf. Jedes College hat seine Vor- und Nachteile, aus denen man auswählen kann. Im Josephine Butler College beispielsweise teilt man zu sechst eine Küche, jede:r hat dafür ein eigenes Bad. Jede Woche werden Küche und Bäder gereinigt (dreckige Mitbewohner:innen gibt’s leider trotzdem). Am Josephine Butler College ist einzig zu bemängeln, dass es so weit von der Stadt entfernt ist. Immerhin zwingt einen das schlechte ÖV-Netz, seine 10’000 Schritte zu erreichen.