Feministische Zeitschrift, Symbolfigur für Kirchenkritik sowie für rabiate gesellschaftliche Veränderungen. Das alles vereint der Name «Hypatia». Dahinter steckt aber vor allem eine spätantike Philosophin mit einem tragischen Schicksal.
Hypatia (ca. 355-416 n. Chr.) stammte aus der Oberschicht Alexandrias und erhielt wie andere Mädchen aus wohlhabenden Familien zu dieser Zeit eine Grundausbildung. Dennoch ist Hypatias Werdegang aussergewöhnlich. Denn nur sehr wenige Frauen genossen auch nach dieser Grundausbildung weiterführenden Unterricht in Philosophie, Mathematik sowie Astronomie. Begünstigt wurde ihre Karriere durch ihren Vater, der selbst als Lehrer in der Alexandrinischen Schule tätig war. Schon bald aber übertraf sie ihren eigenen Vater in Lehre und Forschung. Denn die Philosophin vertrat in ihrer eigenen Schule eine Form des Platonismus, die nicht im Konflikt mit den damaligen christlichen Riten stand, weshalb christliche und pagane Studenten gleichermassen in ihren Vorlesungen vorzufinden waren. Hypatias Schule avancierte dadurch zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für die anderen Schulen in Alexandria aber auch im restlichen Römischen Reich. So hörten ihr nicht nur die Studenten in den Klassenräumen zu, sondern ihre Ratschläge zu Regierungsgeschäften wurden von ranghohen politischen Würdenträgern in und um Alexandria stets sehr geschätzt.
Alexandria
Alexandria liegt auf einem Küstenabschnitt, wo der Nil, das Mittelmeer und die Sahara zusammentreffen. Durch seine Lage wurde Alexandria zu einer der bedeutendsten und grössten Hafenstadt in der Spätantike. Die Stadt war aber nicht nur ein wichtiger Umschlagplatz, sondern sie war durch die Bibliothek und die alexandrinische Schule auch ein führendes Kulturzentrum im Römischen Reich. Während sich Hypatia der Philosophie widmete, breitete sich auf den Strassen Alexandrias das Christentum aus, das 380 n. Chr. unter dem Kaiser Theodosius I. im oströmischen Reich zur Staatsreligion erklärt wurde. In der Folge wurden sämtliche heidnische Kulte verboten. In Alexandria war die Lage besonders angespannt, da in der Stadt heidnische Gruppen, Christen sowie Juden lebten. Die Ausschreitungen zwischen Christen und Nichtchristen innerhalb der Stadt erreichten ihren Höhepunkt, als Kyrill der neue Patriarch von Alexandria wurde, nachdem sein Vorgänger und Onkel Theophilos I. gestorben war. Sowohl Kyrill als auch Orestes, der damalige Präfekt der Stadt, sahen sich als Rivalen an und wollten stets die Vorherrschaft beziehungsweise den Einfluss des anderen verdrängen. Damit Kyrill seine Anliegen durchsetzen konnte, rief er gewaltbereite Mönche aus Nitria herbei und hetzte zusätzlich die christliche Masse gegen Orestes, den er als ungläubigen darstellte. Diese generelle Hetze gegen alles Nichtchristliche hatte zur Folge, dass auch die bisher unberührten philosophischen Akademien von Gewaltexzessen nicht mehr sicher waren. Das betraf nicht zuletzt die Schule Hypatias.
Sündenbock und Opfer patriarchaler Strukturen
Der bewusst geschürte Hass Kyrills gegen pagane Kulte führte schliesslich zu dem grausamen Tod Hypatias, der die Fundamente der alten Ordnung erschüttern sollte. Die antiken Quellen berichten meistens von einem grausamen Tod, für den vor allem Kyrill verantwortlich gemacht wird. So sei ihr Körper durch den christlichen Mob zerstückelt und durch die Stadt getragen worden, wobei die Überreste am Ende verbrannt wurden. Damit befolgten die Christen ein altes alexandrinisches Protokoll, welches für gewöhnlich bei Schwerverbrechern zum Einsatz kam. Die genauen Ursachen für ihren Tod sind aber nicht bekannt. Trotzdem scheint es wahrscheinlich, dass ihr Tod das Resultat der Propaganda von Kyrill gegen Orestes war. Denn Orestes liess aufgrund von Anschuldigungen seitens des christlichen Mobs bzw. der Anhänger von Kyrill öffentlich verlauten, dass er sich in Konstantinopel durch den Erzbischof taufen habe lassen, womit er anzudeuten versuchte, dass seine Politik durchaus im Interesse des christlichen Glaubens war. Jedoch gab sich der christliche Mob damit nicht zufrieden und glaubte, dass die Einbindung nichtchristlicher Ratgeber, wie bspw. Hypatia, Orestes vom Glauben abbringen könnte. Zwar hatte sich Hypatia dafür eingesetzt, im Angesicht der turbulenten Zeiten die alexandrinische Gesellschaft für vermehrt philosophische Lebensprinzipien zu sensibilisieren, es dürfte aber nicht ihr Ziel gewesen sein, Orestes vom Glauben abzubringen. Weil jedoch Hypatias Anliegen von Orestes als Präfekt selbst und anderen Beamten unterstützt wurde, sah sich wahrscheinlich der Mob in seiner vorgebrachten Anschuldigung gegen Orestes bestätigt. Abgesehen davon, dass Hypatia als angesehene Frau innerhalb Alexandrias wohl auch bei Kyrill aufgrund patriarchalischer Strukturen der Kirche ein Dorn im Auge gewesen war, ging die eigentliche Gefahr von der getauften Unterschicht Alexandrias aus. Denn die Philosophin gehörte zur Oberschicht und konnte somit wegen ihrer Aktivität in der Politik zusätzlich als Sündenbock für Missstände in Alexandria verantwortlich gemacht werden. Deshalb scheint es kein Zufall, dass die Mörder Hypatias ebenfalls aus einfachen Verhältnissen stammten.
Symbol- und Galionsfigur
Hypatias Berühmtheit, ihre unter hohen Beamten geschätzte Aktivität in der Politik und ihr grausamer Tod hatten zur Folge, dass ihr Ableben auf starke Resonanz innerhalb der römischen Gesellschaft traf. Allerdings war es nicht nur ihre Person, die einen so starken Widerhall auslöste. Philosophinnen und Philosophen waren seit Sokrates dafür bekannt, dass sie stets bemüht waren, die Wahrheit zu vertreten, unabhängig davon, ob sie so ihr Leben riskierten. Dies ist auch der Grund, weshalb sie in politischen Fragen miteinbezogen wurden, weil ihre Aufrichtigkeit bezüglich politischer Probleme selten angezweifelt wurde. Hypatias Person verkörperte diese alten Traditionen in dem Masse, dass ihr Tod schon damals symbolisch für den endgültigen Niedergang der antiken Gesellschaftsordnung stand.
Im Verlauf der Jahrhunderte wurde Hypatias Tod immer wieder neu interpretiert. So sah der englische Philosoph John Toland (1670 – 1722) bezüglich der allmählich aufkommenden Frauenfrage in Hypatia die Bestätigung, dass Frauen ebenfalls zu grossen intellektuellen Leistungen im Stande seien, sofern die nötigen gesellschaftlichen Strukturen vorhanden sind. Toland beabsichtigte damit auch die katholische Kirche anzugreifen, indem er mit Verweis auf Kyrills Verantwortung für Hypatias Ermordung die Kirche als Quelle der Gewalt darstellte.
In den späteren Jahren und besonders im 20. Jahrhundert kamen vor allem Theorien auf, die Hypatia als Opfer von frauenfeindlichen Gesellschaftsstrukturen sahen, wobei die ursprünglich religiös motivierten Gründe ihres Todes zunehmend in den Hintergrund rückten. Das Aufkommen solcher Theorien verlieh Hypatias Geschichte auch eine protesthafte Note. So betitelten sich schon bald feministische Zeitschriften mit dem Namen «Hypatia», wie bspw. die 1984 in Athen erstmals erschienene Zeitschrift Hypatia; Feminist Studies. Hypatias Lebensgeschichte fand aber auch Einzug in die populäre Kultur. Romane und Theaterstücke entstanden aufgrund der Faszination rund um ihren Tod und die damalige Umwälzung der antiken Gesellschaftsstruktur. Allerdings haben diese Werke wie Charles Kingsleys Roman Hypatia wenig mit der historischen Hypatia gemeinsam. Trotzdem resoniert ihr Tod weiter, auch wenn er heute anders klingt als noch in der Antike.
Besonders die unbeantwortete Frage nach der eigentlichen Ursache ihres tragischen Todes lieferte also der Rezeptionsgeschichte den nötigen Freiraum, um Hypatia als Kämpferin für Feminismus oder Märtyrerin der Wissenschaft hochzustilisieren. Jedoch hat diese neue «Hypatia» kaum etwas mit der historischen Philosophin gemeinsam – ausser vielleicht ihr trauriges Ende.
(Bild: Hypatia vor ihrem Tod in Alexandria. Gemälde aus dem Jahr 1865. Wikimedia Commons.)