Ein feministischer Hardcore-Porno? Wirklich? Das fragten sich zwei unserer Redakteurinnen und gingen sich einen im Kino anschauen. «Deep Throat» (1972) ist der profitabelste Film, der je gedreht wurde. Sein Entstehungskontext ist ambivalent. Ein Erlebnisbericht über Schubladendenken, technische Pannen und weibliche Lust.
Sich einen Porno im Kino anzusehen, ist anstrengender und hindernisreicher als erwartet. Aber nach ein paar Pannen mit unseren Online-Tickets finden wir uns – ein Gratis-Getränk als Wiedergutmachung in der Hand – schliesslich doch in den breiten gold-weissen Kinosesseln des Riffraffs wieder.
Wider Erwarten tragen die Corona-Massnahmen zu einem gewissen Komfort bei: Man kann im Kino einen Porno schauen, ohne zu eng aufeinander zu sitzen, und fühlt sich dank der Maske dabei relativ unbeobachtet. Als Geschichtsstudis gefällt uns ausserdem das Hörsaal-Setting mit der Einführung von Geschichtsprofessorin Monika Dommann, inklusive technischer Probleme mit den Powerpoint-Folien. Auch sitzen im Publikum keine schmierigen Gestalten, sondern mehrheitlich junge, mit ausgefallenen modischen Statements geschmückte Leute. Die Atmosphäre ist entspannt, es gibt keine «awkward moments», es fühlt sich alles normal an. Das hätten wir nicht erwartet.
So werden wir im Kinosaal als erstes mit unseren eigenen Vorurteilen und dem Schubladendenken konfrontiert, das mit dem Thema Porno einhergeht. Mal schauen, wie wir nach dem Film darüber denken: Licht und Handy ausschalten bitte, es geht los!
Der Film, um den es hier im Rahmen der 8. Porny Days und des Filmzyklus von Royal Scandal Cinema geht, heisst Deep Throat. Er wurde vom ehemaligen Coiffeur Gerard Damiano gedreht und kam 1972 in die amerikanischen Kinos. Die Handlung dreht sich um die junge Linda Lovelace und ihr Problem: Sie kommt beim Sex mit Männern einfach nicht zum Orgasmus. Kein Feuerwerk, kein Glockenspiel, kein Raketenstart, wie sie selbst sagt – ein kleines Kitzeln sei das höchste der Gefühle. Bei einem emotionalen Besuch beim Psychiater Dr. Young wird klar, was ihr Problem ist: Lindas Klitoris befindet sich in ihrem Hals. Die Lösung: «Deep Throat», die tiefe orale Penetration mit einem möglichst grossen Penis. Nach dieser Entdeckung arbeitet Linda als «Physiotherapeutin» für verschiedene Patienten von Dr. Young und übt dabei die Praxis des «Deep Throating». Der Film endet damit, dass sich Lovelace und ein Patient mit übergrossem Penis ineinander verlieben und heiraten möchten.
Pornos im Kino schauen
Das in Zürich jährlich durchgeführte Film- und Kunstfestival Porny Days setzt sich mit Themen der Körperlichkeit und Sexualität auseinander. Es plädiert für einen offenen Zugang zu diesen Themen durch Filme, Performances, Diskussionen und Workshops und will Öffentlichkeit schaffen für einen tabuisierten Bereich der menschlichen Kultur.
Das Projekt Royal Scandal Cinema setzt sich mit Skandalisierungsprozessen als kulturelle und sozialwissenschaftliche Phänomene auseinander. Es werden skandalöse und skandalisierte Filme gezeigt, deren Bedeutung im Voraus durch Referate von Wissenschaftler*innen (u.a. zum Beispiel Prof. Monika Dommann) historisch, kulturell und rezeptionsgeschichtlich eingeordnet wird. Der Filmzyklus besteht aus monatlichen Vorstellungen und läuft bis im Mai 2024.
Der Plot mag etwas simpel wirken, der Film hat es jedoch in sich: Monika Dommann verrät uns, dass Deep Throat mitten im «Kippjahr» 1972 als einer der ersten Hardcore-Pornos in einem öffentlichen Kino am New York Times Square Premiere feierte. Filme mit explizitem Inhalt waren vorher in Amerika lange Zeit nur in Erwachsenenläden und Peep-Shows zu sehen gewesen. Mit der von Präsident Johnson eingesetzten «Comission on Obscenity and Pornography» im Jahr 1969 änderte sich das: Die Kommission kam zum Schluss, dass Pornografie an sich nicht schädlich sei und dass Verbote eher schadeten als nützten. So wurde der Weg für Pornofilme in die Kinosäle frei.
Deep Throat verzeichnete einen massiven Erfolg beim Publikum und eine grosse Medienaufmerksamkeit – unter anderem wurde er als «The Godfather of Sex Pix» bezeichnet. Ob Frauen, Männer, Ehepaare oder Prominente: Ein sehr gemischtes Publikum ging sich den Hardcore-Porno anschauen und sprach darüber. Erotikfilme wurden salonfähig, «Porno-Chic» war in.
Aber nicht nur in der Welt des Kinos ging Deep Throat in die amerikanische Geschichte ein. Der Filmtitel wurde zu einem solchen Kulturphänomen, dass er auch als Deckname für den Whistleblower im Watergate-Skandal benutzt wurde: Deep Throat als Stimme der Wahrheit sozusagen. Zeitungen wie die New York Times lobten den Plot als feministisch, da der Film das Recht einer Frau auf einen Orgasmus thematisiere und die weibliche Lust in den Vordergrund stelle. Moment mal – feministisch? Ein Hardcore-Porno von 1972? Was ist daran feministisch? Die Antwort darauf fällt nicht eindeutig aus, denn Deep Throat ist ein Film voller Widersprüche.
Zwar steht der weibliche Höhepunkt im Narrativ explizit im Mittelpunkt, aber die Filmeinstellungen und Kostüme sind dennoch für einen männlichen Blick bestimmt: Das Klischee der sexy Krankenschwester ist hier ebenso zu finden wie lustverzerrte weibliche Gesichter. Für Linda Lovelace ist der Orgasmus auch nur in Kombination mit einem Penis zu erreichen. Die Klitoris und weibliche Lust werden im Film mit einer heteronormativen Sexstellung verbunden, bei der vor allem auch der Mann (auf seine Kosten) kommt.
Zur Darstellung von Orgasmen in Pornofilmen schreibt die Filmwissenschaftlerin Linda Williams, dass der Mann in Pornofilmen ein Beweis für seine Lust erbringen müsse – das resultiere dann im Film im sogenannten «Money-Shot», der das männliche Ejakulat auf der weiblichen Partnerfigur explizit in Szene setzt. Ein Beweis für den weiblichen Höhepunkt sei dagegen filmtechnisch schwierig. Deep Throat löst dieses Problem mit einer schnell geschnittenen Filmmontage, in der sich Bilder von Lovelaces Gesicht, einem Glockenspiel, Feuerwerk und einer startenden Rakete abwechseln.
Besonders die Wahl der Rakete für die Darstellung weiblicher Lust ist interessant. Der Wettstreit um das All gegen die Sowjets war 1972 noch im Gange. Eine männlich konnotierte Sphäre also, verkörpert durch die phallusartige Rakete: So wird der weibliche Höhepunkt mit einer männlichen Bildsprache erklärt. Auch sonst dominieren Penisse in allen Grössen und Varianten den Streifen. Das Lustorgan der Hauptfigur – die Klitoris – bleibt dagegen in ihrem Hals versteckt. Die weibliche Befriedigung findet in Deep Throat hauptsächlich im Verborgenen statt.
Der Film arbeitet mit viel Komik und Witz. Dies ist wohl dem prüden Vermächtnis der Amerikaner zu verdanken: In den 60ern wurde Sex in Hollywood nie explizit dargestellt, sondern höchstens mit einem lodernden Feuer angedeutet. Deep Throat hingegen brach das sture und prüde Sexbild auf und öffnete dem «anständigen» Publikum den Weg in die «unanständigen» Filme, indem er zugleich ein Porno und die Parodie eines Pornos war. Mit akrobatisch anmutenden Szenen und dem durch ohrenbetäubende Hammondorgelmusik (unter anderem eine Variante von Beethovens «Ode an die Freude») übertönten Stöhnen wirkt der Porno eher lustig als lustvoll. Die mechanischen, gleichbleibenden Bewegungen erinnern an einen Cartoon und lassen die Menschen dahinter fast verschwinden.
Lachen, besagt eine psychoanalytische Theorie, soll wie eine Medizin gegen Schamgefühle wirken. Und dass wir hier auf die Psychoanalyse verweisen, kommt nicht von ungefähr: Man beachte den Namen des Psychiaters, Dr. Young – eine offensichtliche Anspielung an den Psychoanalytiker C.G. Jung.
Trotzdem bleibt uns das Lachen im Halse stecken, als Linda Lovelace ein Glasdildo eingeführt wird. Das ging auch Nora Ephron so. In ihrer Filmreview von 1973 meinte die Regisseurin (die später When Harry met Sally mit dem berühmten vorgetäuschten Orgasmus drehte), dass sie in diesem Moment nur eins habe denken können: “What if the glass breaks?” Darauf angesprochen, erwiderte die Hauptdarstellerin nur, dass der Dreh dieser Szene witzig gewesen sei – was Ephron dann zur Schlussfolgerung verleitete, sie habe wohl als Feministin ihren Humor verloren.
Diese Aussage von Lovelace sei so dahingestellt. Doch die ambivalenten Hintergründe der Filmproduktion deuten etwas anderes an: In ihrer Biographie Ordeal (1980) schreibt Lovelace, dass sie von ihrem Mann zu den Pornodrehs gezwungen worden war und dass sie während der Produktionen vergewaltigt wurde. Dazu kam, dass der Hauptdarsteller Harry Reems für seine Rolle 1976 wegen Verbreitung von Obszönität verurteilt wurde. (Sein Verteidiger labelte den Porno vor Gericht als «Aufklärungsfilm» – es bleibt die Frage offen, wo genau die Aufklärung bleibt. Die Klitoris befindet sich schliesslich nicht im Hals.) Reems wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, in zweiter Instanz davon aber wieder freigesprochen. In über der Hälfte der US-Bundesstaaten durfte der Porno nicht gezeigt werden. So wurde er skandalisiert – was zur riesigen medialen Aufmerksamkeit beitrug, die er erfuhr. Deep Throat, als Low Budget-Film gedreht (und mitfinanziert von der Mafia) ist mit den 600 Millionen US-Dollar, die er einbrachte, bis heute der profitabelste Film überhaupt.
Wie stehen wir zu diesem Porno? Die Widersprüche häufen sich. Der feministische Aspekt vom Recht der Frau auf einen Orgasmus fanden wir zwar im Film gut vertreten, sehen aber die Bildsprache und die umstrittenen Produktionshintergründe sehr kritisch an. Wir verlassen das Kino mit vielen Fragen im Kopf: Wie ernst war das alles gemeint? Was sollen wir jetzt davon halten? Waren wir eben ernsthaft einen Porno im Kino schauen? Fanden wir ihn anturnend?
Die Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext und das wissenschaftliche Setting haben im Grossen und Ganzen zu einer für uns angenehmen Atmosphäre geführt. Sie haben uns erlaubt, eine wissenschaftliche Distanz einzunehmen und zu beobachten. Ambivalent bleibt dieser Porno für uns trotzdem, aber immerhin: Wir können nun ohne mit der Wimper zu zucken von uns behaupten, einen Hardcore-Porno gesehen zu haben, und stimmen mit Monika Dommann überein, dass sich jede feministisch eingestellte Person mit Hardcore-Pornografie kritisch auseinandersetzen sollte. Die weibliche Lust hat ihre eigene Geschichte, sich mit ihr zu befassen ist gerade im Bezug auf ihre Darstellung sehr wichtig – und doch scheint gerade das bis heute sehr schwierig.
Deep Throat (Regie: Gerard Damiano), USA 1972. Mit der Skandalisierung des Pornos befasst sich die Dokumentation Inside Deep Throat (Regie: Fenton Bailey und Randy Barbato), USA 2005.