Er ist einer der schillerndsten Intellektuellen der Schweiz: Von seinen politischen Gegnern wird ihm oft vorgeworfen, sich zu wenig von kommunistischen Diktaturen zu distanzieren, dennoch hat ihn die NZZ 2016 zum einflussreichsten Schweizer erkoren. Nun geht ein Film der Person von Jean Ziegler auf den Grund.
«l`optimisme de la volonté» ist der Titel, der Nicolas Wadimoff dem Filmportrait über seinen ehemaligen Soziologieprofessoren und umstrittenen Schweizer Intellektuellen, Jean Ziegler gegeben hat. Er bezieht sich dabei auf ein Zitat von Antonio Gramsci, italienischer Kommunist und sozialistischer Theoretiker, welcher, als er in den 30er-Jahren unter Mussolini im Gefängnis sass, zum Kampf gegen Kapitalismus und Faschismus formulierte: «Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.»
Den Kapitalismus, den Faschismus und die Oligarchie des organisierten Finanzkapitals zu besiegen, das gelte für Jean Ziegler auch noch heute, erzählt Wadimoff in der Anfangsszene aus dem Off. Die Tatsache, dass Wadimoff für den Titel seines Filmes nur den zweiten Teil des Zitates übernommen und den «Pessimismus des Verstandes» weggelassen hat, durchzieht seinen Film als roter Faden: Der Besuch in Havanna, welcher einen grossen Teil des Filmes ausmacht, ist die Konfrontation eines unermüdlichen 82-jährigen Revolutionärs mit der kubanischen Realität; der ganze Film eine Auseinandersetzung mit dem Umgang mit den Widersprüchen zwischen linker Theorie und Praxis.
Diese Auseinandersetzung ist eine Jean Zieglers, des Regisseurs und des Zuschauers selbst. Sie geschieht auf drei Ebenen: Man sieht erstens die intime Seite Zieglers in seinem persönlichen Umfeld, wie er etwas verloren in seinem Büro steht und vor lauter Bücherstapel nicht mehr weiss, wo er sein gewaltiges Che Guevara-Portrait abstellen soll. Er zeigt seinen Schreibtisch, wo neben Bildern seiner Frau Erika Fotos von Patrice Lumumba und Pablo Neruda stehen.
Auf einer zweiten Ebene sieht man Ziegler, ein Mann, der sich gerne reden hört, bei der Arbeit beim Diskutieren an UNO-Verhandlungen. Er kämpft gegen sogenannte Geierfonds an und meint, als infrage gestellt wird, ob dieser Begriff in der Debatte angemessen sei, der Begriff sei wohl eher eine ungerechtfertigte Beleidigung der Geier.
Besonders spannend sind schliesslich die Szenen, welche Ziegler in Kuba zeigen. Mit verklärtem Blick preist Ziegler im Taxi vom Flughafen zum Hotel die «Poesie», welche aufgrund der Ruhe und Dunkelheit herrsche, während Erika Ziegler diese als Zeichen von Armut und Mangel interpretiert. «Viva Cuba!», ruft Ziegler begeistert einer Frau auf einem Balkon in Havanna zu und fragt sie, warum sie denn keine Bilder von «El Che» aufgehängt habe. Auf die Antwort «Komm doch hoch, und seh‘, wie wir Kubaner leben!» geht Ziegler nicht ein, verbeugt und bekreuzigt sich aber dafür in der nächsten Szene vor dem Sarg Che Guevaras. Ziegler, der die Kubaner gerne als «Genossen» anspricht, blüht in Kuba förmlich auf und landet vor lauter Entzückung gegen Ende der Ferien prompt noch im Spital.
Trotz all dieser Szenen wird Ziegler von Wadimoff nicht einfach vorgeführt, sondern ernst genommen. Als Ziegler während einer Diskussion mit seiner Frau und Kollegen die kubanische Pressezensur mit dem Argument rechtfertigt, dass es, wäre Allende nur gleich konsequent wie Fidel gewesen, Pinochet nie gegeben hätte, mischt sich auch der Filmemacher in die Diskussion ein.
Zu anregenden Diskussionen oder Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen kommt es sonst im Film aber kaum. Es wäre auch zu einfach, Zieglers Weltansicht als verklärt und nicht mehr aktuell zu diffamieren. Gelungen ist die Darstellung seiner Frau Erika, welche Ziegler selber als die Person bezeichnet, welche ihn immer wieder mit der Realität konfrontiere. Sie sagt in den meisten Szenen wenig zu Zieglers Äusserungen, betrachtet ihn aber mit einem halb besorgten, halb berührten Blick und scheint viel entspannter, als sie während Zieglers Spitalaufenthalt alleine eine kommerzielle Musikaufführung besuchen geht.
Ein solcher Film über einen solchen Menschen wie Jean Ziegler ist in einer Zeit, in welcher sich die politische Linke in die Verteidigungsecke gedrängt findet, ein spannendes Projekt. Mit dem Tauwetter zwischen Kuba und den USA schmelzt nun auch der letzte Traum der Sozialisten dahin. Es scheint, als sei es nur noch mit einem solchen Optimismus des Willens möglich, sich für die Idee der Revolution zu begeistern, da die Realisten aus dieser Zeit schon lange zu Zynikern geworden sind. Diesen Optimismus gibt Ziegler in der letzten Filmszene an junge Menschen weiter und scheint in ihnen den Wille zur Veränderung zu wecken. Und gerade dieser Optimismus, dieser ideologisch geprägte Wille ist das, was Ziegler so unheimlich vital macht. Gegen Ende des Films meint er, er würde keine Autobiographie schreiben, da dies ein Projekt für sterbende Leute sei, und er sich noch lebendig fühle. Sollte also in den nächsten Jahren doch noch eine Autobiographie Jean Zieglers erscheinen, müssten wir davon ausgehen, dass er einen Teil seiner Ideologie eingebüsst hat und der Autor nicht mehr derselbe ist.