Die kubanische Revolution wird stark assoziiert mit Che Guevara und Fidel Castro. Doch schon vor den beiden Revolutionären gab es in Kuba einen Kampf für Unabhängigkeit. Einer der führenden Köpfe damals war José Martí. Ein Porträt über ihn und das Weiterleben seiner Ideen unter Fidel Castro.
Er gilt als Symbolfigur der kubanischen Unabhängigkeit und ist für sein literarisches Schaffen in weiten Teilen Lateinamerikas bekannt. José Martí, der Anführer im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, wird in Kuba auch heute noch als Nationalheld verehrt. In der Zeit des Kalten Krieges wurde seine Person und seine politischen Ideen sowohl vom Castro-Regime als auch von dessen Gegnern als Argumentationsquelle benutzt.
José Martí wurde 1853 in Havanna geboren. Bereits während der Rebellion gegen die spanische Kolonialherrschaft 1868 sympathisierte er mit den aufständischen Patrioten. Wegen seines starken politischen Engagements musste er den Grossteil seines Lebens im Exil verbringen. Neben Spanien, Frankreich, Guatemala und Mexico lebte Martí dann vor allem in New York, wo er als Auslandkorrespondent und Literaturkritiker arbeitete. Seinen Traum von einem unabhängigen Kuba gab Martí jedoch nicht auf. Neben seinem journalistischen und poetischen Schaffen war er Vorsitzender des kubanischen Revolutionskomitees und verfasste politische Schriften. In seinen Arbeiten kam immer wieder sein politischer Idealismus zum Ausdruck. Trotz seiner Bewunderung für die USA, die ihm auch als Vorbild dienten, fürchtete Martí den Einfluss des grossen Nachbarn: Martís Kuba sollte frei sein vom Einfluss der USA wie auch Spaniens.
Nach seiner Rückkehr nach Kuba war er die treibende Kraft hinter der Vereinigung antikolonialer Kräfte anfangs 1890. Obwohl Martí keinen politischen Plan für das Land nach der Unabhängigkeit vorzeigen konnte, gelang es ihm, durch seine rhetorischen Fähigkeiten die Leute für sich zu begeistern. Martís Vorstellung des «Cuba libre» war die einer gerechteren Gesellschaft mit einem Zugang zu Bildung für alle. Aus der Vereinigung antikolonialer Bewegungen gründete sich 1892 die Partido Revolucionario Cubano, die 1895 nach Ausbruch des zweiten Unabhängigkeitskrieges die politische Führung des Kampfes übernahm. Das Credo war: Vaterland oder Tod (patria o muerte). Martí sollte den Sieg im Befreiungskampf nicht mehr erleben. Bereits einen Monat nach Ausbruch des Krieges wurde er im Kampf getötet.
Politisch haben Martís Ideen nicht an Wirkung verloren. Sein Name wird oft in einem Atemzug mit «kubanischem Nationalismus» und «Souveränität» genannt. Auch Fidel Castro, der nach der Revolution von 1959 50 Jahre lang die Geschicke Kubas bestimmte, nannte Martí als seine Quelle der Inspiration. In seiner Schrift «la historia me absolverà» (die Geschichte wird mich freisprechen), die Castro während seiner Zeit im Gefängnis 1955 verfasste, assoziierte er sich und seine Rebellion mit der Tradition des kubanischen Nationalismus um José Martí. Er machte Martí jedoch zu mehr als nur zu einem revolutionären Vorbild. Castro kreierte einen neuen kubanischen Nationalismus, der zwar immer noch den Namen Martís beibehielt, nun aber das Gesicht Castros trug. Die Vorstellung, dass Castro durch seine Revolution als Vollendung der politischen Ideale seines Mentors Martí agierte, war in der kubanischen Gesellschaft nach 1959 weit verbreitet. Durch diese Geschichtsstilisierung wurden Martí und sein Befreiungskampf zum Nationalmythos und zur Quelle politischer Legitimation von Castros Regime. Martís Kampf war auch Castros Kampf. Zuerst gegen den Diktator Fulgencio Batista und nach der Revolution gegen die imperialistische Grossmacht USA.
Castros politische Gegner in Miami und Washington hingegen beschuldigten ihn, Martís Schaffen für seine eigenen Zwecke zu zerstören und kritisierten dessen marxistisch-leninistische Auslegung. Denn auch die Gegner nutzten Martís Ideen für ihre politischen Zwecke. So bedienten sie sich Begriffen wie «tirano» und «déspota» aus Texten von Martí, um das kubanische Regime zu beschreiben. Martí verstand den «tirano» als spirituellen und intellektuellen Anführer, der gleichzeitig sein Volk unterdrückt.
Auch wenn die Ähnlichkeit zwischen Castro und Martís «tirano» unübersehbar scheinen, handelt es sich hier um zwei Seiten der gleichen Medaille. Castro machte Martí zum Marxisten, um die eigene Herrschaft zu legitimieren. Seine Gegner diskreditierten das Regime ebenfalls durch Martís Worte, als ob es für die Begriffe wie «tirano» keinen anderen Kontext gegeben habe. Das Beispiel lehrt uns einmal mehr, dass die Auslegung politischer Schriften immer von der Perspektive abhängig ist. Beide Parteien beanspruchten die korrekte Interpretation von Martís Werken für sich. Die Frage, ob dieser Anspruch der korrekten Auslegung zielführend war, sei dahingestellt. Für das Castro-Regime diente sie bis zu dessen Tod als Legitimation und stabilisierte die Regierung in Kuba. Obwohl Kuba, trotz seiner wirtschaftlichen Isolation, ein Land mit einer hohen Alphabetisierungsrate ist und jeder einen Zugang zu Bildung hat: Eine gerechte Gesellschaft konnte seit der Machtübernahme der Castros nicht realisiert werden. Seit letztem November ist der grosse Revolutionsanführer tot. Seit längerer Zeit hat sein Bruder Raul Castro die Regierungsgeschäfte übernommen. In welche Richtung sich Kuba entwickeln wird und was die Zukunft dieser Karibikinsel beschert, ist jedoch völlig offen.