Von magischen Fruchtbarkeitsgürteln über Marias Muttermilch bis zu guten Taten in Hoffnung auf Gottes Segen. Kinderlose Paare in mittelalterlichen Adelskreisen versuchten alles, um schwanger zu werden. Eine Spurensuche.
Anne von Böhmen war eine äusserst beliebte Regentin; das lässt eine Vielzahl von Beschreibungen aus zeitgenössischen Chroniken vermuten. Trotzdem liess kaum ein Chronist das grosse Versäumnis der 1394 mit nur 28 Jahren an der Pest verstorbenen Königin unbemerkt: Sie hatte es verpasst, einen Nachkommen zu produzieren. Der walisische Chronist Adam Usk stellte mit Bedauern fest, Anne sei «die gütigste Königin Englands» gewesen, «obwohl sie kinderlos starb». Dabei schienen die Voraussetzungen für Anne und Richard II, die 1382 geheiratet hatten, zu stimmen: Beide waren jung und mochten sich so sehr, dass sie nur selten voneinander wichen.
Das Interesse der Allgemeinheit an der ersehnten Mutterschaft Annes ist nachvollziehbar, war die Produktion eines männlichen Erben für das Weiterbestehen von Dynastien doch von zentraler Bedeutung. Ein unscheinbarer Stapel von Apothekenrechnungen des Hofes Richards und Annes, der Bestellungen von Senfkörnern, Wasserwegerich und einem ominös klingenden Medikament namens Trifera enthält und im britischen Nationalarchiv schlummerte, lässt die amerikanische Historikerin Kristen Geaman eine Vermutung anstellen: Anne von Böhmen wollte ihr kinderloses Schicksal nicht so einfach hinnehmen.
Wie auch in anderen Bereichen der mittelalterlichen Medizin ist es bei der Unfruchtbarkeit oftmals nicht einfach nachzuvollziehen, wie konkrete alltägliche Praktiken der Behandlung aussahen. Grund dafür ist die magere Quellenlage: Ein Grossteil des überlieferten Wissens stammt aus theoretischen, medizinischen Abhandlungen. Dabei lassen gewisse Überlieferungen von Rezepten für fertilitätsfördernde Mittel Zweifel an der Praktikabilität zu.
Die Mediävistin Regina Toepfer hält fest, dass solche medizinischen Texte oftmals eher die pharmakologische Gelehrsamkeit ihrer Verfasser bezeugen, als dass sie unglücklich kinderlosen Paaren tatsächlich helfen sollten. So verlangt ein Rezept des spanischen Arztes Arnald von Villanova zur Behandlung von Unfruchtbarkeit sechs rohe Eigelbe, frische Butter, Ziegenmolke, das Glied eines Stiers, Knabenkraut, Minze, die Hoden eines Hahns (von denen für Frauen der linke und für Männer der rechte vorgesehen war), weisse Kurkuma und eingemachten Ingwer, daneben Kokosnuss, Pinienkerne und Datteln. Aus Platzgründen muss die Wiedergabe der Zutaten hier unterbrochen werden, doch eines sei gesagt: Auch die Anleitung zur Verarbeitung der Zutaten ist nicht weniger komplex. Während durchaus auch einfachere, volkskundliche Rezepte kursierten, stellt sich in Hinblick auf Villanovas Fruchtbarkeitstrank doch die Frage, ob und wie Menschen im Mittelalter tatsächlich Gebrauch von Fruchtbarkeitsbehandlungen machten.
Entsprechend aufregend sind der Fund und die These Geamans, die Zutaten auf den Apothekenrechnungen Annes liessen sich als konkrete Indizien für eine Fruchtbarkeitsbehandlung der englischen Königin auslegen. Wie auch Geaman selbst einräumt, ist bei der Interpretation der Rechnungen, die bloss Name und Menge der Einkäufe enthalten, allerdings Vorsicht geboten. Mittelalterliche Vorstellungen über Sexualität und Reproduktion basierten – wie auch die damaligen Vorstellungen über Gesundheit im Allgemeinen – auf der antiken Humoralpathologie. In dieser Vorstellung von Medizin wurden einzelne Kräuter und Zutaten sowie daraus hergestellte Mittel nicht nur zur Behandlung eines einzelnen Problems angewandt, sondern dienten vielen verschiedenen Zwecken. Yerapigra Galeni, ein Medikament, das Anne bestellte, konnte beispielsweise in der Behandlung von Beschwerden der Augen und Ohren, aber auch des Magens, der Leber und der Milz verwendet werden.
Trotzdem wurden einem auffällig grossen Anteil von Annes Bestellungen fertilitätsfördernde Eigenschaften zugeschrieben, wie Geamans Abgleich mit verbreiteten zeitgenössischen gynäkologischen Schriften zeigt. Wasserwegerich, den die Königin gleich zweimal bestellen liess, wurde unter anderem zur Kontrolle der Menstruation benutzt. Die beiden Medikamente Trisandali und Diapenidion, die auch auf der Rechnung zu finden sind, sollten, in Kombination eingenommen, die Empfängnis bei Frauen mit zu kaltem Blut (im humoralpathologischen Sinne) begünstigen. Auch die Bestellungen von Senfsamen und Narde könnten ähnliche Zwecke gehabt haben.
Besonders suggestiv ist zuletzt eine äusserst umfangreiche – und beim Preis von zwei Schillingen und sechs Pfennig auch ausgesprochen kostspielige – Bestellung des Medikaments Trifera. Die Trotula, eine der verbreitetsten zeitgenössischen gynäkologischen Schriften, die auch vielen anderen ähnlichen Texten als Grundlage diente, erwähnt das Medikament gleich mehrmals. Es wurde unter anderem als vaginal einzuführendes Zäpfchen empfohlen und sollte so eine regelmässige Menstruation herbeiführen, die in diesem Kontext als Zeichen für einen gesunden, gebärfähigen Zustand der Frau gelesen wurde.
Auf ganz andere, doch keineswegs weniger eindrucksvolle Weise konnte ein Team britischer Archäolog:innen 2021 die praktische Anwendung einer anderen mittelalterlichen fertilitätsfördernden Behandlungsmethode belegen. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Fruchtbarkeitsgürtel aus der britischen Wellcome Collection, der sich auf die Zeit um 1500 datieren lässt. Solche Fruchtbarkeitsgürtel bestanden aus Seide, Papier oder Pergament und wurden in weiten Teilen Europas bis in die Frühe Neuzeit von Frauen zur Förderung der Empfängnis und in der Geburtshilfe verwendet.
In der Briefkorrespondenz des italienischen Kaufmanns Francesco di Marco Datini, dessen Ehe mit Margherita di Dominico Bandini ebenfalls ungewollt kinderlos blieb, ist von einem solchen Fruchtbarkeitsgürtel die Rede. In einem Brief aus dem Jahr 1393 erzählt Margheritas Schwester von einem wundersamen Pflaster, das von der Frau um den Bauch getragen werden sollte und bereits vielen Paaren erfolgreich zur Schwangerschaft verholfen habe.
Allerdings, so schrieb die Schwester weiter, gehe von diesem Pflaster ein derart übler Geruch aus, dass nur die wenigsten Ehemänner mit der Prozedur einverstanden seien. In einem späteren Brief rät sie der noch immer kinderlosen Margherita, nach dem Sprechen einiger Vaterunser und Ave Marias einen mit Schriftzeichen versehenen Fruchtbarkeitsgürtel zu tragen – dabei müssten diese Insignien dringend unmittelbar auf der Haut aufliegen, um ihre magische Wirkung zu entfalten.
Während die Briefe der italienischen Kaufmannsfamilie nicht belegen, dass Margherita auch wirklich von einem solchen Fruchtbarkeitsgürtel Gebrauch machte, konnten die britischen Archäolog:innen an ihrem Untersuchungsobjekt wiederum genau das nachweisen: An vorsichtig, mittels Radiergummis entnommenen Proben des rund drei Meter langen, aus Papier bestehenden Talismans führten die Forscher:innen Proteinanalysen durch. Mittels dieser Analysen liess sich eine grosse Zahl der Proteine, die auf dem Gürtel gefunden wurden, Vaginalsekret und Zervixschleim zuordnen, was stark auf den praktischen Gebrauch des Objektes hindeutet – höchstwahrscheinlich wurde der Gürtel während einer Geburt getragen.
Doch nicht nur das: Weitere der untersuchten Proteine stammten offenbar von Eiern, Bohnen, Milch und Honig. Diese finden sich allesamt auch in verschiedenen zeitgenössichen medizinischen Texten zu Fruchtbarkeitsbehandlungen und Geburt – wir erinnern uns etwa an die Eigelbe und die Ziegenmolke aus Villanovas Rezept. War es vielleicht dieser Geruch nach (abgestandener) Milch, vor dem Margheritas Schwester auch in ihrem Brief über das Fruchtbarkeitspflaster gewarnt hatte?
Annes Apothekenrechnungen wie auch der britische Fruchtbarkeitsgürtel zeugen auf beeindruckende Weise von der praktischen Umsetzung mittelalterlichen medizinischen Wissens über die Behandlung von Unfruchtbarkeit und die Unterstützung des Geburtsprozesses. Dabei zeigen die in Datinis Briefen überlieferten Benutzungsanleitungen und der Nachweis von Milch und Eiern am englischen Gürtel, wie sowohl religiöse und magische als auch medizinische Elemente Teil des mittelalterlichen Umgangs mit Unfruchtbarkeit waren. «Aus moderner Perspektive ist man oft geneigt, zwischen wissenschaftlichen und abergläubischen Praktiken unterscheiden zu wollen», hält Toepfer fest, «doch werden solche Trennungsversuche den vormodernen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit nicht gerecht.»
Auch Anne von Böhmen beliess ihre Behandlung nicht bei der Einnahme von Trifera und dem übermässigen Konsum von Senfkörnern. 1383, ein Jahr nach der Hochzeit Anne und Richards, pilgerte das königliche Ehepaar nach Walsingham in Norfolk. Dieser Wallfahrtsort wurde besonders oft von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch besucht, denn zu seinen Kultobjekten gehörte eine Marienstatue mit Jesuskind sowie eine Stillreliquie der Maria. Gegen Entgelt erhielt man hier sogar kleine mit Weihwasser gefüllte Fläschchen und – so das Versprechen – einen Tropfen der Muttermilch Marias höchstpersönlich. Ein besserer Glücksbringer für Zeugung, Schwangerschaft und Geburt war kaum vorstellbar.
Ob Anne sich einen solchen kaufte, bleibt indes offen. Was allerdings überliefert ist: Im 16. Jahrhundert besuchte Erasmus von Rotterdam Walsingham. Für ihn waren die Fläschchen nichts mehr als eine Touri-Falle: Maria hätte Unmengen von Muttermilch hinterlassen müssen, so Erasmus. Dies sei kaum zu glauben, wenn man doch bedenke, dass sie in ihrem Leben nur ein einziges Kind geboren hatte – ja, das Jesuskind hätte keinen einzigen Tropfen davon abgekriegt!
Im selben Jahr, in dem Richard und Anne nach Walsingham pilgerten, tätigten die beiden zudem eine Spende an das St.-Giles-Spital in Norfolk. Dieses Spital stand nach einer entsprechenden Bischofsweihe einige Jahre zuvor unter dem besonderen Schutz von St. Anna – der Mutter der Jungfrau Maria und Schutzpatronin der Unfruchtbaren. Kristen Geaman ist der Meinung, dass auch diese Geste als Teil von Annes Behandlung zu verstehen ist – oder zumindest, dass die Gunst St. Annas für Anne ein positiver Nebeneffekt der Spende gewesen sein muss.
Einen ähnlichen Ratschlag bot übrigens auch Margheritas Schwager Niccolò, der in einem eigenen Brief erwähnte, dass er nichts vom Weibergeschwätz über die magischen Kräfte des Papierstreifens hielt. Viel aussichtsreicher, so versicherte Niccolò, sei es, wenn Margherita Gott gegenüber ihre Güte unter Beweis stelle und an drei Freitagen drei Bettler speise.
Augenfällig an der Pilgerreise und Spende ist die Tatsache, dass auch Richard an diesen beteiligt war, während die Medikamentenbestellungen vermutlich allein für die Königin vorgesehen waren. Den göttlichen Segen galt es offenbar als Paar einzuholen. Und auch der männliche Schwager Margheritas, Niccolò, schien mit dem Speisen der drei Bettler eine streng religiöse Behandlungsmethode zu bevorzugen.
Die medizinische Ursache der Unfruchtbarkeit wurde bei beiden Paaren bei der Frau gesucht. Das ist sinnbildlich für die Ungleichbehandlung der Geschlechter in Bezug auf Kinderlosigkeit im Mittelalter. Es gibt zwar einige Texte, die sich männlicher Impotenz widmen; diese bleiben aber die Ausnahme. Toepfer schreibt, dass die Bedeutung der Männer für die Reproduktion in vormodernen Zeugungstheorien hervorgehoben wurde, während die Frau hierbei eher die passive Rolle einnahm. Klappte es mit der Zeugung jedoch nicht, wurde die Wurzel des Problems meist bei der Frau gesucht – dieses Phänomen hält im Übrigen bis heute an.
Das wohl berüchtigtste Beispiel dafür ist jenes Heinrichs VIII. Der englische Schreckenskönig aus dem 16. Jahrhundert liess bekannterweise zwei seiner sechs Ehefrauen hinrichten – die anderen vier starben entweder selbst bei der Geburt oder kamen mit einer Scheidung und ihrem Leben davon. Allem voran, so der heutige Konsens, entledigte sich Heinrich seiner Frauen, weil diese ihm nicht den gewünschten männlichen Thronfolger lieferten. Insgesamt zehn Schwangerschaften während seiner ersten beiden Ehen brachten die traurige Bilanz von acht Fehlgeburten oder frühkindlichen Todesfällen und nur zwei überlebenden Töchtern.
Heinrich lag es offensichtlich fern, das Problem bei sich selbst zu suchen. Doch neuere Studien deuten stark darauf hin, dass der König selbst unfruchtbar gewesen sein muss – oder zumindest teilweise Verantwortung für die Fehlgeburten trug. Einerseits trug Heinrichs zunehmend ungesunder Lebensstil wohl zu einer beträchtlichen Abnahme seiner Spermienqualität bei. Andererseits, so zeigt eine Studie aus dem Jahr 2010, war er wohl Träger des sogenannten Kell-Antigens. Ein Kell-positiver Mann und eine Kell-negative Frau können in einer ersten Schwangerschaft ein gesundes Kind produzieren. Bei weiteren Schwangerschaften durchdringen aber Antikörper aus dem Blut der Mutter die Plazenta und greifen den Kell-positiven Fötus an, was ohne moderne Behandlungsmethoden fast ausnahmslos zu Fehl- oder Stillgeburten führt.
Bei Francesco und Margherita Datini wiederum schien die Kinderlosigkeit wirklich auf die Frau zurückzuführen sein: Francesco hatte seine Potenz durch das Zeugen mehrerer unehelicher Kinder bereits unter Beweis gestellt. Beim hinrichtenden Heinrich und dem fremdgehenden Francesco konnte sich Anne von Böhmen mit Richard trotz Kinderlosigkeit wohl glücklich schätzen.
Literatur:
Davis-Marks, Isis: A Medieval Woman Wore This «Birthing Girdle» to Protect Herself During Labor, in: smithsonianmag.com, 11.03.2021.
Geaman, Kristen: Anne of Bohemia and Her Struggle to Conceive, in: Social History of Medicine 29 (2), 2014, S. 224–244.
Toepfer, Regina: Kinderlosigkeit. Ersehnte, verweigerte und bereute Elternschaft im Mittelalter, Stuttgart 2020.