Lee Miller – die Fotografin, die sich nicht aufhalten liess

Lee Miller (Kate Winslet) fotografiert im Haus eines Nazis einen Gruppenselbstmord. Bild: Sky

Sie war mehr als Model und Muse. Elizabeth «Lee» Miller war eine selbstbewusste und unerschrockene Fotografin, die im Zweiten Weltkrieg direkt von der Front berichtete. Davon handelt diese Filmbiografie mit Kate Winslet in der Hauptrolle.

Direkt die erste Szene zeigt Lee in Aktion, wie sie bei einem Angriff mitten im Kampfgetümmel mit ihrer Kamera unterwegs ist. Sie rennt, weicht einschlagenden Geschossen aus und findet hinter ein paar Sandsäcken notdürftig Schutz. Sie versucht, sich zu sammeln und Fotos zu machen, wird aber von einem Soldaten gepackt und in Sicherheit gebracht. Mit dieser fesselnden Szene beginnt Ellen Kuras’ neuer Film, der 2023 bei den Filmfestspielen in Toronto Premiere feierte. Im Verlauf der Handlung zeichnet er den bedeutendsten Teil von Lee Millers Werdegang nach: ihre fotografische Berichterstattung aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein nächster Cut führt das Publikum zu einer Einstellung, die sich fundamental vom Rest des Films unterscheidet, jedoch eine tragende Rolle für die Handlung spielt: ein junger Mann (Josh O’Connor) führt in einem behaglichen Wohnzimmer ein Gespräch mit Lee, die mittlerweile ganz ergraut ist. Er möchte mit ihr über ihre Bilder sprechen. Zuerst zögert Lee noch und meint, es seien «nur Fotos». Schliesslich willigt sie doch ein, von ihren Bildern zu erzählen, wenn der junge Mann ihr auch etwas über sich erzählt. Er sagt zu und Lee, die stets eine Zigarette und einen Drink in der Hand hält, beginnt zu erzählen. In den nächsten knapp zwei Stunden erfährt man, dass es weit mehr als «nur Fotos» sind.

Die Ruhe vor dem Sturm

Sie beginnt ihre Erzählung bei einem idyllischen Urlaub mit Freund:innen in Frankreich – vor Kriegsbeginn. Sie geniessen das Wetter, die Küste, das gute Essen und vor allem die gemeinsame Zeit. Noch kann sich keine:r von ihnen ausmalen, welche Schrecken Adolf Hitler schon bald verbreiten wird; man traut es ihm einfach nicht zu. Bei einem solchen Abend lernt Lee auch Roland Penrose (Alexander Skarsgård), einen britischen Künstler, Galeristen und Autor kennen und lieben.
Lee möchte ihre Karriere als Fotografin vorantreiben. Sie hat genug davon, Model zu sein. Sie will hinter der Kamera stehen und beginnt, für die britische Vogue zu fotografieren, während sie mit Roland in London wohnt. Zunächst hat der Krieg die Stadt noch nicht erreicht. Doch das ändert sich: als während des sogenannten London Blitz Bomben fallen, muss die Redaktion umziehen und arbeitet fortan in einem Keller. Das von den Luftangriffen gezeichnete London inspiriert Lee dazu, es zu fotografieren und dadurch festzuhalten. Die Sujets ihrer Bilder wechseln: wo sie vorher reine Modeaufnahmen machte, fotografiert sie nun die Folgen des Bombardements und wie die Zivilbevölkerung damit umging. Dabei lernt sie David «Davey» Sherman (Andy Samberg) kennen, einen amerikanischen Fotografen. Lee, vorher Einzelgängerin, die nicht an Teamarbeit glaubte, lässt sich auf die Zusammenarbeit mit Davey ein. In Lee wächst der Drang dort zu sein, wo der Krieg wütet: an der Front. Erst scheint es, als sei ihr Vorhaben unmöglich. Doch als amerikanische Fotografin erhält sie die Erlaubnis, als eine von wenigen Frauen die G.I.s zu begleiten.

Davey Sherman (Andy Samberg) und Lee Miller (Kate Winslet) unterwegs an die Front. Bild: Sky

Nahe an der Wahrheit

In Frankreich, während die Handlung Fahrt aufnimmt, erkennt man immer mehr, was für eine taffe Frau Lee Miller war. Antony Penrose, der Sohn der «echten» Lee Miller hat Kate Winslet während der Dreharbeiten dabei geholfen, ein Bild seiner Mutter zu zeichnen, das der Person Lee Miller möglichst nah kommt und authentisch ist. Dies ist ihnen gelungen; Lee wirkt real und greifbar. Kate Winslet selbst sagte in einem Interview, dass sie mit diesem Film die Vorstellung, die die Welt von Lee Miller hat, richtigstellen möchte. Sie will zeigen, dass Lee Miller mehr als ein Model oder eine Muse war – mit Erfolg. Auch soll sich der Film, der von Winslet selbst produziert wurde, streng an Lees Werdegang und ihren Fotos orientieren und wenig dazuerfinden. Die wahrheitsnahe Darstellung Millers ist in meinen Augen erreicht worden. Lee ist mitnichten perfekt; sie raucht und trinkt, sie ist stur, hartnäckig und unbequem, zuweilen fast unfreundlich und gefühlskalt. Auch sieht man ihr deutlich an, dass sie nicht mehr Mitte zwanzig ist. Und all das ist eine willkommene Abwechslung zu der Art, wie Frauen – besonders in den Hauptrollen – häufig dargestellt werden: Lee Miller ist nicht die klassische Heldin mit dem perfekten Modelkörper und frei von jeglichem Laster. Lee hat sogar einige Ecken und Kanten. Das macht sie nicht unsympathischer als Hauptfigur; im Gegenteil, es macht sie greifbarer und realer. Dass die Regisseurin und vor allem die Produzentin mit Antony Penrose zusammengearbeitet haben, lässt vermuten, dass diese hier gesehene Darstellung der Lee Miller tatsächlich realistisch ist.

Gegen jeden Widerstand

Lee setzt sich in diesem Film immer wieder durch. Gegen Männer, die ihr Zutritt verwehren und sie nicht näher an die Front heranlassen wollen, gegen ihren Partner Roland, der sich um sie sorgt und sie lieber zu Hause wüsste und nicht zuletzt gegen ihren eigenen Schmerz. Denn auch an der vermeintlich gefühlskalten Lee geht der Krieg nicht spurlos vorüber. Sie erfährt am eigenen Leib Verluste, hat die Gräuel und das Leid, das sie fotografiert, zu verarbeiten. Umso schwerer trifft es sie, als ihre Bilder des befreiten Deutschlands kurz nach Kriegsende nicht in der britischen Vogue veröffentlicht werden. Grund hierfür sei gewesen, dass sie sich zu sehr auf die Schrecken des Nationalsozialismus als auf das Kriegsende und den Sieg konzentrierten. Chefredakteurin Audrey Withers (Andrea Riseborough) aber schickte Millers Fotografien an die amerikanische Vogue, die sie im Juni 1945 in dem Artikel Germans Are Like This druckte.
Im Verlauf des Films wird das Gespräch mit dem jungen Journalisten klarer. Es wird schliesslich ersichtlich, dass der junge Mann Lees Sohn ist. Zu Lebzeiten seiner Mutter hatte er nie erfahren, was genau sie zur Zeit des Krieges tat. Erst nach ihrem Tod entdeckte er Kisten mit Fotografien auf dem Dachboden. Das Gespräch, das dem Film den Rahmen gibt, hat so nie stattgefunden.

Der junge Journalist (Josh O’Connor) im Gespräch mit Lee Miller. Bild: Sky

Der Film ist äusserst sehenswert und regt die Zuschauer:innen auf mehreren Wegen zum Nachdenken an: einerseits über die Gräueltaten des Naziregimes im Zweiten Weltkrieg und andererseits, mit Blick auf die Charakterisierung Lees, über die Rezeption von Held:innen. Die Szenen, die in Feldlagern, KZs oder auch in Städten wie München oder Paris spielen, sind technisch gut gemacht und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Die von Lee Miller geschossenen Fotos dokumentieren die Schrecken des Krieges und zeigen auf, dass so etwas nicht noch einmal geschehen darf. Doch auch die vermeintlich nebensächlichen Szenen, die den Zuschauer:innen die Person Lee Miller näherbringen, sind bewegend und emotional.