Ridley Scotts neuestes Epos führt den Aufstieg Napoleons auf dessen Liebe zu seiner Frau Joséphine zurück. Obwohl Scott dafür die Geschichte zurechtbiegt, überzeugt die Darstellung dieser Liebesbeziehung nicht. Das machen auch ein Starensemble und opulente Schlachten nicht wett.
Vom geliebten Befreier Frankreichs, der Demokratie und Grundrechte gestiftet hat, zum nahezu genozidalen Proto-Hitler – Napoleon Bonaparte wurde in Literatur, Geschichte und populärem Bewusstsein nicht nur sehr oft, sondern auch sehr unterschiedlich rezipiert. Wie reiht sich Ridley Scotts Verfilmung der Geschichte des französischen Kaisers in diese Rezeption ein?
Der britische Regisseur, der für Monumentalfilme wie «Gladiator» (2000) bekannt ist, liefert auch dieses Mal ein Epos mit dem Grössten, das Hollywood zu bieten hat: Ein Budget von nahezu 200 Millionen Dollar, ein Cast voller Stars, aufwendige Kostüme und massive Sets lassen einen in das Frankreich der napoleonischen Ära eintauchen. Besonders eindrucksvoll sind die zahlreichen Schlachten, die im Film sehr detailliert nachgestellt werden. Auf der Strecke bleibt dabei aber der militärische und politische Aufstieg Napoleons – dieser bildet bloss die Kulisse für die Liebesgeschichte zwischen ihm und seiner Frau Joséphine.
Der Film zeigt über gut zweieinhalb Stunden die ganze Karriere Napoleons: Vom Aufstieg des korsischen Korporals über seine eigenhändige Krönung zum Kaiser auf dem Höhepunkt seiner Macht bis zum Abstieg nach dem katastrophalen Russlandfeldzug und dem Exil auf St. Helena. Die Liebesgeschichte spielt daneben: Napoleon trifft Joséphine und verliebt sich Hals über Kopf. Ihre Ehe ist aber durch Konflikt und Betrug geprägt. Joséphine kann keine Kinder gebären, weshalb die beiden sich wieder scheiden lassen, danach aber weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis pflegen.
Obwohl das persönliche Leben Napoleons hinreichend Stoff für eine spannende Auseinandersetzung böte, gelingt es Ridley Scott nicht, den Protagonisten greifbar zu machen. Der Film beginnt mit der Hinrichtung der Königin Marie-Antoinette vor der aufgewiegelten Volksmenge von Paris. Nach einem Schwenk der Kamera sehen wir, wie Napoleon, gespielt von Joaquin Phoenix, emotionslos zusieht. Diese stoische, leere Miene bewegt sich mit wenigen Ausnahmen nicht von Napoleons Gesicht. Dies liegt nicht am Schauspieler, sondern am Skript – Scott inszeniert Napoleon bewusst als gefühlskalten Imperator. In den wenigen Szenen, in denen er Emotionen zeigen soll, demonstriert Joaquin Phoenix, bekannt für seine Darstellung des Jokers im gleichnamigen Film von 2019, warum er als einer der besten Schauspieler Hollywoods gilt. Trotzdem lässt dieses konstant unbewegte Gesicht die Frage auftauchen: Was treibt Napoleon an?
Ridley Scott sagte in einem Interview, dass Napoleon ihn fasziniere, weil dieser halb Europa erobert habe, nur um die Liebe Joséphines zu gewinnen. Dass Joséphine diese Liebe aber nie wirklich erwiderte, habe Napoleon zerstört. Inwiefern diese Erklärung historisch zutrifft, sei dahingestellt. Im Film kommt diese leidenschaftliche Liebe jedenfalls nicht zum Ausdruck. So lernen sich Napoleon und Joséphine auf einer Feier kennen, wo sie ein paar hölzerne Wörter wechseln. Danach bittet Joséphine Napoleon indirekt um Hilfe beim Wiederfinden des Schwertes ihres verstorbenen Gatten, wozu sich Napoleon etwas widerwillig bereit zeigt. Nach zwei weiteren wortlosen Treffen heiraten die beiden. Der Ursprung einer Liebe, die einen ganzen Kontinent in Flammen aufgehen lässt, sieht anders aus.
Diese Darstellung der Beziehung zwischen Napoleon und Joséphine zieht sich durch den ganzen Film. Wir hören zwar die Liebesbriefe Napoleons im Voice-Over, sehen aber keine seiner Emotionen. Die Sexszenen schwanken zwischen lächerlich und peinlich. Schliesslich betrügt sie ihn, er betrügt sie, sie schreien einander an und am Ende sind beide traurig, dass sie sich scheiden lassen müssen, obwohl beide die Scheidung wollten. Auch die gegenseitigen Erniedrigungen, die sie sich an den Kopf werfen, haben trotz der grossartigen schauspielerischen Leistung keinen Biss, weil nie etabliert wurde, was die beiden jemals voneinander wollten. So fällt der Film, der Napoleons ganze Karriere der Liebesbeziehung zu Joséphine unterordnet, auseinander, da diese Liebe letztlich unglaubhaft bleibt.
An die historischen Fakten hält sich das Historiendrama indes nicht. Zugunsten einer guten Geschichte gewisse historische Details auszuschmücken und andere auszusparen, ist zwar nachvollziehbar – eine unkorrekte Jahreszahl oder kleine Fehler in der Chronologie fallen hier nicht weiter ins Gewicht. Doch Ridley Scott spielt sehr fast and loose mit den historischen Tatsachen für seine Vision der Liebesgeschichte Napoleons und Joséphines. Die Rückkehr Napoleons aus Ägypten wird etwa mit einer Affäre Joséphines erklärt, was mindestens reduktionistisch, wenn nicht gänzlich falsch ist. Besonders krass tritt das lockere Spiel mit den historischen Tatsachen bei der Rückkehr Napoleons aus Elba zutage. Im Film wird diese auf die Liaison Joséphines mit dem russischen Zar Alexander zurückgeführt. Tatsächlich war die historische Joséphine zur Zeit der Rückkehr Napoleons aus Elba fast schon ein ganzes Jahr lang tot.
Ridley Scott zeigte sich in einem Interview denn auch äusserst skeptisch gegenüber historischer Erkenntnis und richtete klare Worte an kritische Geschichtswissenschaftler:innen: «Were you there? No? Well shut the fuck up then!» Im Gegenzug präsentierte er eine wenig überzeugende Liebesgeschichte, der er alle historischen Tatsachen unterordnet. Vielleicht hätte Ridley Scott besser auf Historiker:innen hören sollen.