Sechs Kandidierende haben es in die letzte Runde geschafft. Die Vortragsrunden des Berufungsverfahrens stellen jeweils das grosse Finale der spannendsten Casting-Show am Historischen Seminar dar. Jetzt gilt es ernst: Nur eine:r kann in die Fussstapfen von Nada Boškovska treten. Die Probevorträge im etü-Check 3.0.
Info: Die Kandidatinnen werden in diesem Artikel weitgehend anonymisiert, da es sich um ein Bewerbungsverfahren handelt. Deshalb benutzen wir für sie im Folgenden das generische Femininum; ausserdem wurde die Reihenfolge der Vorträge geändert.
Mit Debjani Bhattacharyya und Felix K. Maier stehen die Sieger:innen der letztjährigen Staffeln fest. Nun, am 4. und 5. Dezember 2023, geht das Rennen um die HS-Professur in die dritte Runde. Mit dabei für euch: der etü – mit dem etü-Check 3.0.
Das Format: Wer erhält die Assistenzprofessur mit Tenure Track für die Osteuropäische Geschichte? Das Kernstück: Ein Vortrag der Bewerber:innen über ihr aktuelles Forschungsthema in 25 Minuten – das sogenannte «Vorsingen». (Tenure – what? Für alle, die mit dem Lehrstuhl-Vokabular nicht vertraut sind → siehe Infobox unten)
Die Kandidatinnen: Die sechs Kandidatinnen – fünf Frauen und ein Mann – wurden von der Berufungskommission handverlesen und dürfen sich nun mit einem 25-minütigen Vortrag inklusive Fragerunde dem neugierigen Publikum präsentieren.
Das Publikum: Zahlreiche Professor:innen und Dozent:innen des Historischen Seminars, die Berufungskommission sowie einige Studierende – die Zahl variiert je nach Zeitpunkt der Vorlesung. Am ersten Vortrag am Montagmorgen um 8.30 Uhr sind weitaus weniger Studierende anwesend als am letzten Vortrag am Dienstagmittag um 11.00 Uhr.
Die Jury: Die Berufungskommission besteht aus je einer Ständevertretung und einer Auswahl an internen Personen vom Fach, hinzu kommen einige sowohl fachfremde als auch Uni-externe Professor:innen. Du hörst «Stände» – und denkst an Mittelalter? An der Uni bilden die Studierenden, der wissenschaftliche Nachwuchs und die fortgeschrittenen Forschenden die drei Stände. Diese treffen sich nach den Vorträgen im sogenannten «Ständeaustausch» für die Festlegung ihrer Voten in der Berufungskommission.
Die Brisanz: Bisher profilierte sich der Zürcher Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, mit Nada Boškovska als Vorsteherin, mit seiner Abdeckung des südosteuropäischen Raums. Angesichts des Kriegsausbruchs in der Ukraine überrascht der Themenschwerpunkt der Probevorträge – Geschichte(n) rund um die Ukraine – nicht, und dennoch bedauern einige Anwesende die thematische Abwesenheit Südosteuropas.
Erinnerungspopulismus – ein Osteuropäischer Sonderweg?
Der aktuelle Forschungsschwerpunkt der Kandidatin Nr. 1 liegt auf der Erinnerung an «verstossene Soldaten» in Polen – antikommunistische, xenophobe und antisemitische Kämpfer, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg gegen den Staatssozialismus auflehnten. Die Erinnerung an diese wurde während des Kalten Kriegs von katholisch-konservativen Pfadfindern am Leben gehalten. Unter der PiS-Regierung im 21. Jahrhundert wurde das Gedenken an die «verstossenen Soldaten» zur Hauptsäule der nationalistischen Geschichtspolitik Polens. Die Vereinnahmung der Erinnerungskultur durch Rechtspopulisten will die Kandidatin noch mit anderen osteuropäischen, aber auch aussereuropäischen postsozialistischen Staaten vergleichen – denn Osteuropa sieht sie nicht als Sonderweg, weil es in der Geschichte sowieso keine Normalwege gebe. Der forschungsorientierte Vortrag ist wohlstrukturiert, ohne PowerPoint-Präsentation und in perfektem Deutsch abgelesen (die Kandidatin beherrscht weitere sieben Sprachen), strotzt aber von Fremdwörtern.
Bezüglich der zukünftigen Ausrichtung des Lehrstuhls nennt sie Geschlechtergeschichte und Nation Building als methodische Leitplanken, interdisziplinäre Projekte (mit der Slawistik), internationale Kooperationen (inklusive Exkursionen) und die attraktive Gestaltung des Studiums. In Bezug auf die Gestaltung der Lehre bleibt sie ziemlich schemenhaft; trotz ihrem Forschungsschwerpunkt in Ostmitteleuropa könne sie den ganzen Raum «von Prag bis Wladiwostok» und das 18. bis 21. Jahrhundert abdecken. Die Kandidatin erzählt auch, dass sie sich in einer Kommission für die Reform des Betreuungsverhältnisses von Doktorand:innen zur Verhinderung von Machtmissbrauch engagiert. Ganz explizit fördern möchte sie ausserdem Erstakademiker:innen und spricht dabei aus eigener Erfahrung. Die Kandidatin selbst verortet sich als Teil des «activist turn» in der Forschung und führt an, dass sie bereits transnationale Projekte für die deutsch-polnische Erinnerungskultur gemacht hat. Etwas vage bleibt, welche Projekte sie sich mit Bezug zur Schweiz vorstellen könnte – aber muss sie das als Osteuropa-Historikerin?
Breschnews Ukraine? Banaler Nationalismus in der späten Sowjetunion
Ohne grosses Hin und Her präsentiert die zweite Kandidatin ihre These, dass die heutige nationale Identität vieler Ukrainer:innen von einem aus der späten Sowjetunion stammenden «banalen Nationalismus» geprägt sei. Dieser banale Nationalismus sollte sich stärker über ein gemeinsames Territorium und gemeinsame Institutionen konstruieren und weniger auf eine homogene Abstammung und Kultur verweisen. Über inhaltsleere Formulierungen wie «unser Land» wurde die Ukraine als eigenständige sowjetische Republik anerkannt, ohne aber eine klare Abgrenzung von der Union herbeizuführen. Die vielen bildlichen und schriftlichen Quellen aus der späten Sowjetzeit – Postkarten oder Schriften von Sekretären der ukrainischen KP – machen die Argumentation fassbar. Weil der Text aber fast druckfertig ausformuliert ist und ohne wirkliche Pausen abgelesen wird, muss man als Lai:in stets aufmerksam bleiben, um folgen zu können.
Nach dem 25-minütigen Vortrag antwortet die Kandidatin souverän auf die Fachfragen aus dem Publikum. Im darauffolgenden Ständegespräch, befragt zur möglichen Gestaltung von Lehre und Forschung, kommt auf, dass sie erst vor wenigen Jahren doktoriert und mit der Leitung von Lehrveranstaltungen begonnen hat. Dennoch überzeugen ihre Vorstellungen zur Gestaltung des Lehrstuhls. Sie will den Forscher:innen autonomes Arbeiten ermöglichen und deren Aufgaben und Zeitaufwand für den Lehrstuhl klar festlegen. Obwohl auch ihr Forschungsfokus in erster Linie auf Russland und der Ukraine liegt, will sie sich um eine Fortführung der starken Repräsentation Südosteuropas und den ex-jugoslawischen Staaten bemühen. Denn gerade mit dem Balkan bestünden durch die grossen migrantischen Communities enge Verbindungen zur Schweiz.
Wie können wir ukrainische Geschichte schreiben? Der Donbass als Teil einer Geschichte Europas
Die Ukraine sei seit Jahrhunderten ein Borderland. Die Kandidatin Nr. 3 ist sichtlich nervös und verspricht sich so oft, dass es teilweise vom Inhalt ihrer Präsentation ablenkt. Ihre Frage zu Beginn – wem gehört der Donbass? – beantwortet sie sogleich: Der Donbass gehöre der Ukraine UND Russland. Das zeige sich etwa zur Zeit der europäischen Industrialisierung, einem transnationalen Phänomen: Im Donbass wurde von russischen Arbeitern und ukrainischen Bauern Steinkohle abgebaut, was zu Russlands Wirtschaftswachstum beitrug. Mit der Gründung der UdSSR, in die die Ukraine gewaltsam eingebunden worden sei, wurde der Donbass zur Grenzregion. Während der britische Sozialist John Strachey betonte, dass die russischen Arbeiter Vorbild für die britischen sein sollten, und die Briten die Streiks der russischen Bergarbeiter unterstützten, verwendete Gorbatschow die Streiks der britischen Arbeiter als Sinnbild für den schlechten Kapitalismus. Die Ukraine als Borderland stelle die etablierten «Mental Maps» Europas in Frage, beendet die Kandidatin ihre Präsentation.
In der Fragerunde zeigt sie sich souverän, trotz harter Fragen der Anwesenden. Eine Professorin kritisiert die durch den Fokus auf die Streiks sehr Männer-zentrierte Präsentation. Die Kandidatin weist darauf hin, dass auch Frauen in Streiks eine wichtige Rolle spielten, weil sie ihre Männer unterstützten und oft selbst politisch aktiv waren. Die Ukraine sei sehr geeignet für die Geschlechtergeschichte, denn gerade älteren Frauen in ländlichen Gebieten kam in der Erhaltung der ukrainischen Sprache und Kultur eine wichtige Rolle zu. Die Kandidatin schafft es, die Osteuropa-affinen im Publikum zu befriedigen – in den inhaltlichen Fragen zu ihrem Vortrag schlägt sie souverän den Bogen zur Rolle der Ukraine im grösseren Bild der Osteuropageschichte. Auch im Ständegespräch zeigt sie sich durchaus offen, ihre Forschung diesbezüglich auszuweiten. Und schliesslich punktet die Kandidatin bei den Ständen nicht zuletzt mit ihrer grossen Erfahrung in der Lehre.
Speaking in tongues. Soviet minority experiment in Interwar Ukraine
Der Vortrag der nachfolgenden Kandidatin taucht mit peitschendem Tempo in den Untersuchungsgegenstand ein. Inhalt des Vortrags ist die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki in den 1920er Jahren. Diese wollte allen Mitgliedern ethnischer Minoritäten den gleichberechtigten Zugang zu staatlichen und parteipolitischen Institutionen gewähren sowie eine Schulbildung in der eigenen Muttersprache garantieren, um sie so für das sozialistische Projekt zu gewinnen. Ein spannendes Kapitel der sowjetischen Geschichte, das – wie die Kandidatin überzeugend aufzeigen kann – heute im Angesicht der diversen aktiven und «eingefrorenen» Konflikte im postsowjetischen Raum aktueller scheint denn je. Einen Einblick in die konkrete Umsetzung dieser Politik und die damit einhergehenden Implikationen im Alltagsleben der Bevölkerung ermöglicht die Kandidatin anhand eines ausgewählten Fallbeispiels rund um ethnische Pol:innen in der ukrainischen Nikolajew-Region. «Die Geschichte der Ukraine», hält sie prägnant fest, «ist nicht nur die Geschichte der Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern auch jene der Deutschen und Polinnen und vieler anderer ethnischer Minderheiten». Dabei überzeugt die Kandidatin ebenso mit einem reflektierten Umgang mit heuristischen Kategorien wie «Nationalität» und «Ethnie» wie auch mit einer breit abgestützten Quellenbasis: Schulbücher, Kinderlieder, staatliche Statistiken, aber auch zeitgenössische Karten dienen in ihrem aktuellen Forschungsprojekt als Untersuchungsgrundlage.
Obwohl die Kandidatin behauptet, noch Schwierigkeiten mit dem freien Sprechen der deutschen Sprache zu haben, und den Vortrag auf Englisch hält, antwortet sie in Deutsch, eloquent und ein wenig ausschweifend auf die Fragen der Stände. Auf Nachfrage der Studierenden schildert sie die wichtige Stellung, die der Quellenlektüre und -bearbeitung in ihren Seminaren zukommt. Auch hier soll eine breite Quellenauswahl (untertitelte Filme, Statistiken, Propagandaplakate usw.) die Einbindung von nicht-Russisch oder nicht-Ukrainisch-sprechender Studierenden in den Unterricht ermöglichen. Das macht Lust darauf, ein Seminar bei dieser Kandidatin zu besuchen
Die Geburt des russischen Gewissens. Straf- und Besserungsdiskurse im späten 18. Jahrhundert
Die fünfte Kandidatin beginnt ihren Vortrag mit einem packenden szenischen Einstieg, der uns Zuhörende ins Russland des 18. Jahrhunderts katapultiert, wo gerade zwei Verbrecher:innen zur «Klosterbusse» verurteilt wurden. In einem ansprechenden Vortragsstil und untermauert mit eingeblendeten Quellen zeigt die Kandidatin, wie sich die russische Strafpraxis von der Körperstrafe zur Rehabilitierung des Gewissens entwickelte. Im Kontext der Aufklärung in Russland werden drei Diskurse vorgestellt, die in der Kirche, der Akademie und im Recht wirkungsmächtig waren. Mithilfe dieser Institutionen wurde ein Zusammenhang zwischen den Begriffen «Gewissen» und «Verstand» aufgestellt, durch den die russische Strafpraxis humaner wurde, im foucaultschen Sinn aber auch an Kontrolle gewann.
Die Kandidatin wirkt in der Fragerunde fachlich sattelfest und bringt das Publikum mit einigen Bemerkungen zum schmunzeln. Besonders spannend wird es im Ständegespräch. Detailliert legt die Kandidatin ihr Konzept für Seminare dar, wobei sie die Methodik stark gewichtet. Weil ihr Forschungsschwerpunkt neben der Geschichte der Inhaftierung auf der Erinnerungskultur und der Gewaltgeschichte liegt (Gulag, Holodomor und Holocaust nennt sie in einem Atemzug), will sie stark mit Oral History und ethnografischer Feldforschung arbeiten. In der Betreuung der Studierenden und Mitarbeitenden sieht sich die Kandidatin als jederzeit ansprechbare Vertrauensfigur und möchte explizit Frauen fördern. Die Kandidatin repräsentiert eine klassische Osteuropageschichte mit Russland und Moskau als Zentrum. Die Perspektiven anderer osteuropäischer Regionen kommen kaum zur Sprache, Südosteuropa schon gar nicht. Überhaupt entsprechen die Schwerpunkte dieser Kandidatin, ähnlich wie bei Kandidatin Nr. 3, denjenigen der deutschen Osteuropaforschung (Verflechtungen Russland-Deutschland, Zweiter Weltkrieg, Sowjetunion, Erinnerungskultur). Inwiefern dieses Programm an den schweizerischen Kontext angepasst würde, bleibt offen.
Die sowjetische Gesellschaft als Pflichtgesellschaft
Als «Verräterin» wurde letzte Kandidatin schon für ihre Forschung in der ehemaligen Sowjetunionen beschimpft, wie sie einleitend erzählt. Anfangs noch leicht nervös, dann aber immer sicherer und leidenschaftlicher, referiert sie über die sowjetische Pflichtgesellschaft. Im Zentrum ihres Vortrags steht die «Babuschka»: Alte Frauen wurden in die Rolle der aufopfernden Grossmutter gedrängt, was Missbrauch und Marginalisierung begünstigte. In der Nachkriegszeit setzte der sowjetische Staat auf die kostenlose Kinderbetreuung durch die Grossmütter. Die meisten Frauen lebten jedoch in Armut und mussten zusätzlich arbeiten. Viele waren traumatisiert und die Familien zerrüttet.
Weiter wird deutlich, wie gross die Erfahrung ist, die die Kandidatin mitbringt: Sie arbeitete bereits im Wissensmanagement, betreute zahlreiche Doktorierende und hat ein beeindruckendes Netzwerk. Sie wirkt sehr sympathisch und zeigt, dass sie Interesse für alle mitbringt – von den Bachelor-Studierenden bis zu den Assistierenden. Grossen Wert legt sie darauf, die Forschungszeit für Assistierende zu schützen. Als alleinerziehende Mutter hat sie auch Verständnis für strukturelle Probleme, die insbesondere den wissenschaftlichen Nachwuchs betreffen. Osteuropa ist für die Historikerin keinesfalls nur die Sowjetunion. Ein Schwerpunkt auf Zentralasien würde eine Anknüpfung an die eurasische Geschichte ermöglichen und wäre für die Schweiz einzigartig. Mit ihren Ansätzen der Oral History, der Geschlechtergeschichte und dem Postkolonialismus repräsentiert sie nach eigenen Aussagen eine Wende in der Osteuropa-Geschichte. Ihre fachliche Kompetenz sowie der persönliche Eindruck, den sie hinterlässt, überzeugen. Für die grosse Aufgabe, vor der sie steht, habe sie «grosse Pläne und ein bisschen Angst».
Treffen der drei Stände: Nach allen Vorträgen treffen sich die sogenannten «Stände» – Angehörige der Studierendenschaft, des wissenschaftlichen Nachwuchses und der fortgeschrittenen Forschenden – zum Austausch. Jede:r Student:in kann hier ihre Meinung einbringen. Doch auch dieses Jahr wurden die Studierenden auf der Einladung für die Probevorträge nicht über dieses wichtige Treffen informiert. Abgesehen von den etü-Vetreter:innen haben es nur zwei(!) fachvereinsfremde Studierende an den Termin geschafft. Nun wird eifrig diskutiert: Über die Bereitschaft der Kandidatinnen, sich für das Forschungsgebiet Südosteuropa zu begeistern, oder deren Erfahrung mit Doktorierenden und Postdocs. Das Ziel dieses Austauschs: Die Stände geben ihren jeweiligen Vertreter:innen eine Stimmempfehlung, an der diese sich bei der darauffolgenden Abstimmung in der Berufungskommission orientieren können. Hierbei ist anzumerken, dass die Vertreter:innen der Stände nicht dazu verpflichtet sind, innerhalb der Kommission entsprechend dem Meinungsbild der Stände abzustimmen. Dies hat durchaus auch seine Gründe: Die Vertreter:innen der Stände haben beispielsweise Einblick in die Bewerbungsunterlagen der Kandidatinnen, die allen anderen vorenthalten sind. Allerdings kann es strategisch durchaus sinnvoll sein, dass sich alle drei Stände auf gewisse Meinungen (beispielsweise eine Favoritin) einigen. So können sie in der Kommission möglicherweise das Zünglein an der Waage sein. Nach diesem Treffen machen sich die drei Vertreter:innen – mit einer ungefähren Rangfolge im Kopf – auf den Weg zur Sitzung der Berufungskommission.
Erstellung der Rangliste in der Berufungskommission: Die Vertreter:innen der drei Stände präsentieren der Berufungskommission ihre Kandidatinnen-Rangliste. Die Kommission handelt nun eine vorerst finale Rangliste aus. Dabei haben die Vertreterinnen der Stände je eine Stimme, ebenso alle Mitglieder der Berufungskommission. Aufgrund der Zusammensetzung der Kommission sind die Professor:innen in der Mehrheit, womit sie insgesamt mehr Gewicht haben als die drei Standesvertretungen. Trotzdem sollte das Stimmgewicht der Stände nicht unterschätzt werden: Sie haben innerhalb der Berufungskommission durchaus Einflussvermögen. Denn im Idealfall schenken die Profs in der Kommission den Meinungen und Stimmen der Ständevertreter:innen Gehör. Immerhin sind sie es, die zukünftig mit der neuen Professorin zu tun haben werden.
Verhandlungen: Die finale Liste wird zusammen mit dem sogenannten Berufungsantrag dann an den Dekan der philosophischen Fakultät weitergeleitet, der diese prüft und schliesslich der Unileitung einreicht. Diese hätte als oberste Instanz theoretisch freie Hand, die Rangfolge noch einmal komplett umzustellen. Dann beginnen die Verhandlungen zur Berufung mit der erstplatzierten Kandidatin. Bei Tenure Track-Professuren sind die Verhandlungen meist weniger umständlich als bei ordentlichen Professuren, trotzdem kann sich auch diese Phase in die Länge ziehen. Denn falls man mit der ersten Kandidatin zu keiner Einigung kommt, beginnen die Verhandlungen mit der nächsten.
Assistenzprofessur mit Tenure Track
An der UZH wird zwischen verschiedenen Kategorien von Professuren unterschieden. Wichtige Unterscheidungsmerkmale sind dabei die Befristung der Anstellung, die Finanzierung der Professur und der Berufungs- bzw. Anstellungsprozess. Die ordentliche Professur bildet dabei den Goldstandard und die Norm: Ordentliche Professor:innen sind unbefristet angestellte Lehrstuhlinhaber:innen. Assistenzprofessuren dienen der Nachwuchsförderung, denn zum Zeitpunkt der Ernennung dürfen die Personen nicht älter als 45 Jahre alt sein. Ausserdem sind Assistenzprofessuren auf drei Jahre befristet (mit der Möglichkeit um weitere drei Jahre zu verlängern). Bei Assistenzprofessor:innen mit Tenure Track hingegen besteht eine grosse Wahrscheinlichkeit, nach den befristeten drei bis maximal neun Jahren zur ausserordentlichen Professor:in befördert zu werden (unbefristet), wobei man auch hier nochmals einer Prüfung (ohne internationale Konkurrenz) unterzogen wird. Prof. Dr. Andreas Viktor Walser ist dafür ein Beispiel. Auch er hatte zuerst sieben Jahre lang eine Assistenzprofessur mit Tenure Track inne, bis er 2022 zum ausserordentlichen Professor ernannt wurde.