Am diesjährigen Tag der Lehre zogen drei Student:innen und drei Dozent:innen nach fast zwei Jahren Pandemie an der Uni Bilanz: über Er- und Widerfahrenes, über die Chancen der Online-Lehre und die Gefahren von Podcasts.
Es scheint schon eine halbe Ewigkeit her, seit im Frühjahrsemester 2020 die Mail des Unirektorats im digitalen Briefkasten aufleuchtete: «Kein Präsenzunterricht bis auf Weiteres». Welche Veränderungen die Online-Lehre mit sich bringen würde, konnten wir uns in diesem Moment nicht vorstellen. Plötzlich konnten wir aus dem Bett fallen, einen Pullover überziehen, den Laptop aufklappen und – im Seminar sitzen.
Was wir anfänglich als Entschleunigung wahrgenommen hatten, wandelte sich innerhalb kürzester Zeit aber in ein Gefühl von Abschottung und Einengung. Alles fand nur noch in unseren Köpfen, in den eigenen vier Wänden statt, unsere Schlafzimmer wurden zu permanenten Arbeitsorten. Wie allein waren wir mit diesen Gefühlen? Wie gingen Dozent*innen und Student*innen mit den drei Remote-Semestern 2020/21 um? Und was haben uns die letzten zwei Jahre mitgegeben? Der diesjährige Tag der Lehre am Historischen Seminar drehte sich ganz ums Studieren in Zeiten von Corona.
Die Online-Lehre bringt Vor- und Nachteile mit sich; die Moderator:innen Ruben Hackler und Anna Baumann wollten zu Beginn der Diskussion wissen, welche. Die eingeladenen Student:innen – Elia Stucki, Philipp Fellner und Leila Girschweiler – und Dozent:innen – Monika Dommann, Andreas Victor Walser und Christine Grundig – waren sich in einem Punkt einig: das Soziale fehlte. Die Zoom-Sessions ermöglichten kaum Interaktion, die Sitzungen hätten oft mit Unbehagen gestartet, Small-Talk sei weder im Plenum noch in den Breakout-Sessions aufgekommen. «Ich starrte auf Briefmarken», war dazu die Bemerkung einer Dozentin. Vor allem die Student:innen konnten der Situation nicht allzu viele positive Aspekte abringen, vielmehr wurde die Online-Situation als tendenziell belastend und negativ beschrieben. Aus dem Publikum kamen zudem diverse Meldungen von Student:innen bezüglich der mentalen Gesundheit, die zu wenig berücksichtigt worden sei.
Der einzige Vorteil, der hervorgehoben wurde, waren die zu jeder Zeit verfügbaren digitalen Vorlesungen, die flexibel in den Unialltag eingebaut werden konnten. Diese Veränderung wurde von den Student:innen so positiv aufgefasst, dass mit Corona ein Wunsch nach einer allgemeinen Verfügbarkeit von Podcasts aufgekommen ist. Die Dozent:innen sehen das kritischer: die zeitintensive Produktion der Podcasts bedeute weniger Zeit für die Forschung, worunter deren Qualität längerfristig leide. Ausserdem gehe mit dieser Forderung die Gefahr einher, dass das Podcastangebot schnell in ein Online-Only-Angebot umschwanken könne. Ein Dozent aus dem Publikum plädierte deshalb dafür, sie zu überdenken: «Der Präsenzunterricht hat etwas Egalitäres», argumentierte er, und das gehe mit der Einweg-Kommunikation des Podcast-Formats verloren.
Noch ein Aspekt scheint uns bedenkenswert: Wenn die Uni anfängt, die wegen des Umstiegs auf digitale Lehre leerstehende Räume zu vermieten – was angesichts des Spardrucks sicher nicht unattraktiv ist – sind diese Räume so schnell nicht wieder zurückzukriegen. Je mehr sich digitale Formate etablieren, desto schwieriger wird die Rückkehr zur Präsenz.
Die letzten Semester stellten uns alle vor Schwierigkeiten, die nicht vorhersehbar waren. Das zeigte sich in der Diskussion auf den verschiedensten Ebenen, sowohl bei Dozent:innen wie auch Student:innen. Aber die Online-Lehre brachte auch positive Veränderungen mit sich. So haben sich dank Zoom Pronomenrunden etabliert, Gäste konnten an Seminarsitzungen teilnehmen, ohne dafür extra anreisen zu müssen, und die Auseinandersetzung mit der Technik brachte neue Lehrformate hervor.
Aus diesen Erkenntnissen haben sich zudem gewisse Erwartungshaltungen entwickelt. Die Student:innen wünschen sich von den Dozent:innen eine starke Moderation und gute didaktische Kompetenzen hinsichtlich Online-Modus. Sie schätzen ausserdem ein Engagement über das Seminarprogramm hinaus – zum Beispiel, dass manche Dozent:innen am Ende der Online-Semester jeweils (unter Einhaltung der Schutzmassnahmen) ein Treffen mit der Seminargruppe vorschlugen. Der Umstieg auf digitale Formate half ausserdem zu reflektieren, was mit der Online-Lehre verlorengeht und wie diese Aspekte zurück im Seminarzimmer nun besser umgesetzt werden könnten.
Die Erwartungen der Dozent:innen an die Student:innen fiel generalistischer aus, bezog sich weniger auf den Remote-Unterricht und viel mehr auf das Studium allgemein. So erwarte man und freue sich, wenn die Student:innen fokussiert an den Veranstaltungen teilnehmen, neugierig und offen für neue, unbekannte Bereiche sind, viel lesen, Bereitschaft, Vertrauen und Selbstbewusstsein zeigen, bei der Diskussion mitmachen, auch eine Atmosphäre zur Teilnahme schaffen und, noch einmal: viel lesen.
Das laufende Präsenz-Semester fühlt sich für uns Student:innen fast wie eine Erlösung an: Endlich können wir wieder vor Ort miteinander diskutieren, in die Mensa Mittagessen gehen, in der OASE einen Kaffee holen und zusammen in der Bibliothek Seminararbeitsschreibstress durchstehen. Die sozialen Kontakte waren online nicht zu ersetzen. Die Uni-Räumlichkeiten sind nicht nur Lernräume, sondern auch Begegnungsorte. An der Podiumsdiskussion plädierten daher viele Student:innen dafür, die Arbeitsplätze an der Uni (von denen uns manche während des Lockdowns weggenommen wurden) auch dann zugänglich und offen zu lassen, falls die Uni wieder schliessen müsste.
Der Unterricht der vergangenen vier Semester hat uns gezeigt, wie wichtig Präsenzlehre für das Geschichtsstudium ist und uns reflektieren lassen, wie gute Lehre funktioniert. Die Online-Lehre bringt Vor- und Nachteile mit sich und die Podiumsdiskussion bot in diesem Zusammenhang eine willkommene Plattform, sich auf Augenhöhe über Bedürfnisse aller Seiten zu verständigen. Nur die Anfangsfrage «Wo und wie lernen wir?» wurde kaum beantwortet. Auch konkrete Vorschläge, wie sich digitale Lehre am besten umsetzen liesse, wurden wenig gemacht. Was wie umgesetzt wird, würden sich aber wohl zeigen, falls wir wieder in dieselbe Situation hineingeraten wie in den Corona-Semestern 2020/21.
Wir hoffen, dass das nicht passiert.