Am 11. Mai öffneten diverse Kultureinrichtungen wieder beschränkt ihre Türen. Jedoch lassen viele Museen ihre Online-Ausstellungen weiterhin laufen. Brian Haimoff erzählt von seinen Erfahrungen mit einer digitalen Ausstellung des Landesmuseums.
Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein, das öffentliche Leben steht zum grössten Teil still und langsam gehen mir die Ideen aus, was ich mit meiner neu gewonnenen Freizeit anstellen soll. Draussen scheint jede zweite Person plötzlich leidenschaftlicher Jogger oder Radfahrer geworden zu sein. Währenddessen sitze ich in meinem Zimmer und zerbreche mir den Kopf darüber, ob unsere Gesellschaft die richtigen Lehren aus der Krise, bezüglich Solidarität und der Verletzlichkeit unseres Wirtschaftssystems, ziehen wird. Seit vergangenem Montag dem 11. Mai haben Museen, Bibliotheken und sonstige Kultureinrichtungen wieder geöffnet. Damit verbunden kehrt hoffentlich ein weiteres Stück Normalität in das Leben vieler zurück. Die strikten social-distancing Regeln und die nicht ganz freiwillige Mehrzeit zuhause heissen aber nicht, dass auf den Besuch von Museen verzichtet werden muss. Diverse Museen haben einen Teil ihrer Ausstellungen visualisiert und digital zugänglich gemacht. Unter anderem das Landesmuseum mit seiner neuen Ausstellung «Nonnen. Starke Frauen im Mittelalter». Ich habe mir die Ausstellung angeschaut und meine Eindrücke festgehalten – ein Erfahrungsbericht.
Die ursprünglich auf Ende März geplante Eröffnung der Ausstellung «Nonnen. Starke Frauen im Mittelalter» fiel aufgrund der Pandemie ins Wasser. Umso erfreulicher ist es, dass sich das Landesmuseum die Mühe gemacht hat, die Ausstellung digital zu visualisieren und in einem virtuellen Rundgang inkl. Hörstationen und Filmen, den Besucher*innen kostenlos zugänglich zu machen. Durch anwählbare nummerierte «Standpunkte» wird ein fliessender Rundgang durch die Ausstellung ermöglicht, welche die Zeitspanne vom 11. bis ins 16. Jahrhundert abdeckt. Von jedem dieser Standpunkte aus hat man die Möglichkeit, sich 360 Grad umzusehen, die jeweiligen Infotafeln zu lesen oder die mit «i» gekennzeichneten Buttons anzuklicken, um nähere Informationen zu gewissen Gegenständen oder Installationen zu erhalten.
Ich starte den Rundgang also. Gleich ins Auge springt mir das grosse «i» in der Mitte des Bildschirmes. Ein anstupsen mit dem Cursor lässt daneben das Wort «Videoinstallation» erscheinen. Als ich darauf klicke erscheint jedoch nicht ein Video, sondern das Bild der Künstlerin Annelie Strba, die zusammen mit Jürg Egli und der Musik von Samuel Schobinger diese Installation realisiert hat. Wahrscheinlich hätte ich die Namen dieser Personen bei einem gewöhnlichen Museumsbesuch kaum wahrgenommen. Das Video kann ich leider trotzdem nicht ansehen. Bereits hier ergeben sich mir Vor- und Nachteile dieser digitalen Ausstellungsform. Einerseits ermöglicht der alleinige «Besuch» genügend Zeit und Raum, um nach eigenem Tempo die Informationen zu lesen. Personen und Namen erhalten einen Platz im Museum, indem man sie sonst nicht so prominent zu sehen bekommt. Andererseits können grossflächige Videoinstallationen, wie eben bei «Station 2», ihre Wirkung im virtuellen Raum nicht ganz entfalten. Nicht alles ist anklickbar oder näher anschaubar und durch Heranzoomen verschlechtert sich die Bildqualität häufig – die Frustration des Digitalen.
Früh in der Ausstellung wird mir klar, dass mein vorherrschendes Bild von Nonnen im Mittelalter sich als vorurteilsbehaftet und sehr vereinfacht herausstellt. Die gängige Vorstellung von Nonnen, welche ihr Leben nur dem Studium der Bibel, Gott und dem Beten verschrieben haben, wird spätestens bei der Ämterwand an «Station 9» widerlegt. In überraschender Vielfalt werden die verschiedenen Funktionen und Ämter der Nonnen aufgezeigt, welche im Mittelalter etwa 10% der Frauen ausmachten. Nachdem die ersten neun Stationen über die religiöse Lebensform der Nonnen und deren Eintritt ins Kloster informiert, folgt nun ein Abschnitt über die Blütezeit der Frauenklöster im 12. und 13. Jahrhundert. Rasch wird ersichtlich, dass auch in der männerdominierten Welt des Mittelalters viele Nonnen Machtpositionen besassen. So herrschten Äbtissinnen über grosse Ländereien und Dörfer, ernannten Pfarrer und erteilten Aufträge zum Bau von Kirchen und Klöstern. Pétronille de Chemillé etwa war Äbtissin des Klosters Fontevrault in Westfrankreich. Ihr unterstanden nicht nur die Nonnen eines der mächtigsten und grössten Frauenordens im damaligen Europa, sondern auch die Mönche ihrer Abtei und den über 40 Konventen des Ordens.
Neben Pétronille de Chemillé wird die Lebensgeschichte von 14 weiteren Nonnen in Hörstationen erzählt. So etwa auch die von Gelehrten oder Kunsthandwerkerinnen. Hin und wieder kommt es vor, dass die Hörstationen sich von selbst abspielen, auch nachdem ich längst an ihnen vorbeigegangen bin. Ich erschrecke jeweils ziemlich, finde aber den Gedanken daran, mehrmals von über 800 Jahren alten Nonnen erschreckt worden zu sein, ziemlich amüsant. Da in der damaligen Zeit Frauen der Zugang zu Universitäten verwehrt blieb, ergaben sich vielerorts Frauenklöster als wichtige Bildungszentren. Die Universalgelehrte Herrad von Landsberg beispielsweise verfasste die erste, von einer Frau herausgegeben Enzyklopädie mit dem Titel Hortus Deliciarum („Garten der Köstlichkeiten“). Andere Gelehrte wie Hildegrad von Bingen schrieben Werke über den menschlichen Körper, Tiere oder die Heilkraft von Pflanzen. Als Zürcher besonders eindrücklich empfand ich die Geschichte der Äbtissin des Fraumünsters Elisabeth von Wetzikon, welche durch ihre Funktion auch Stadtherrin und demnach zuständig für das Verleihen von Münzrecht, dem Bestimmen von Mass und Gewicht, sowie dem Markt- und Zollrecht war. Als Äbtissin war sie zudem Reichsfürstin und somit eine der mächtigsten Frauen im Heiligen Römischen Reich. Des Weiteren zählte der Empfang königlicher Familien in der Stadt zu ihren Aufgaben, zu dessen Zweck sie extra den grossen Platz vor dem Fraumünster anlegen liess.
In den insgesamt 56 Stationen geht die Ausstellung ferner auf sich im Namen der Kasteiung selbst geisselnde Nonnen, sowie die Umbrüche im sich von Krieg, Pestepidemien und Hungersnöten wandelnden Europas des 14. Jahrhunderts ein. Der thematische Schluss bildet die Zeit nach der Reformation, in der viele Klöster verschwanden, was vor allem für die Nonnen tiefgreifende Folgen hatte. Ihnen blieb in den reformierten Gebieten meist nur die Rückkehr in ein weltliches Leben oder die Übersiedlung in ein katholisches Kloster. Die Ausstellung endet in einem eher dunkleren, geschlossenen Raum und ich wundere mich, wo der Ausgang ist. Zum Glück kann ich mich hier nicht verlaufen.
Auch wenn der digitale Museumsbesuch den physischen nicht vollumfänglich ersetzen kann, zeigten sich doch Vorteile auf: etwa die Möglichkeit, die teilweise ein wenig langlebige Ausstellung zu pausieren und zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen oder der am Laptop noch einfachere Griff zu Google, um interessante Geschehnisse kurz nachzuschauen oder sich darin zu vertiefen. Möglicherweise wäre ein virtueller Zugang zu Ausstellungen, für einen fairen Eintrittspreis, in der Zukunft eine Chance für Museen, ein breiteres Publikum anzusprechen oder den Besuch für körperlich beeinträchtigte Personen zu erleichtern. Trotz des spannenden Erlebnisses freue ich mich auf die Zeit, in welcher ich Ausstellungen wieder mit all meinen Sinnen wahrnehmen und geniessen kann. Bis dahin bieten sich die virtuellen Angebote der Museen als würdiger Ersatz und Zeitvertreib an.
Zur Ausstellung geht es hier.