Das «Museum of Danish Resistance» in Kopenhagen erzählt die persönlichen Geschichten von vier Widerstandskämpfenden und einem Nazi im Zweiten Weltkrieg. Die Besuchenden erleben diese wie bei einem Krimi hautnah mit. Doch die Ausstellung offenbart auch einen zentralen Schwachpunkt unseres Geschichtsbilds.
Ich betrete den ersten Raum und stehe sogleich mitten im Geschehen. Sirenen der Luftabwehr dringen an mein Ohr. Dazwischen höre ich das entfernte Rattern der Maschinengewehre und nervöses Getuschel. Was lange befürchtet und doch immer wieder verdrängt wurde, ist eingetroffen. Soeben hat Nazideutschland das neutrale Dänemark überfallen.
Das eindrücklich gestaltete «Museum of Danish Resistance» in Kopenhagen lässt seine Besuchenden mit allen Sinnen in die Zeit des Zweiten Weltkriegs eintauchen. Neben den Tonaufnahmen sorgen eindrucksvolle Ausstellungsgegenstände und gut platziertes Licht für die richtige Stimmung. Wahlplakate, originale Kleider von Widerstandskämpfenden oder Waffen werden gekonnt in Szene gesetzt. Noch näher an der Zeit fühlt man sich dank den Erzählungen der vier Widerstandskämpfenden Jørgen, Musse, Thorkild, Karl und des dänischen Nazis Henning. Sie führen durch die verwinkelte Ausstellung.
Immer noch unter dem Eindruck des plötzlichen deutschen Angriffs und der Kapitulation Dänemarks wenige Stunden später trete ich in den nächsten Raum. Hier erwartet mich der auf eine Wand projizierte Schatten Jørgens. Ich scanne den darunterliegenden QR-Code und lasse ihn sprechen. Jørgen ist schockiert. Als überzeugten Patrioten hat ihn der schnelle deutsche Sieg tief verletzt. Wie kann es sein, dass seine Heimat dem Feind so schnell nachgibt? Er ist entschlossen, sich den Besatzern zu widersetzen. Dann rauscht er auf seinem Velo davon.
Die Besetzung Dänemarks ist keine offizielle Annexion. Die Regierung bleibt vorübergehend an der Macht – wenn sie mit den deutschen Behörden mitspielt und deren «Ratschläge» umsetzt. Nach und nach werden die persönlichen Freiheiten in der bisher so stabilen liberalen Demokratie abgebaut. Die Kommunistische Partei wird verboten und deren höhere Vertreter inhaftiert. In diesem Zusammenhang lerne ich Karl kennen. Er ist ein überzeugter Kommunist der älteren Generation. Vor kurzem noch hat er im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus gekämpft. Jetzt steht sein eigenes Land auf dem Spiel. Er erzählt mir, dass seine Freunde bereits verhaftet wurden. Und er beginnt, den Widerstand zu organisieren. Mit seinen Genoss:innen bastelt er Molotow-Cocktails und verübt Anschläge auf Waffenfabriken, die nach Deutschland exportieren.
Zwischen den Szenen mit den historischen Figuren bietet das Museum immer wieder interaktive Elemente. Die Besuchenden schlüpfen in die Rolle eines britischen Geheimagenten, der deutsche Geheimcodes knackt, oder sie hören potenzielle Widerstandskämpfer ab. Mit solchen Elementen schafft es das Museum, nicht nur eingefleischte Geschichts-Nerds anzulocken, sondern ein breites Publikum für das Ausstellungsthema zu begeistern.
In den letzten Jahren der deutschen Besatzung wird der dänische Widerstand immer stärker. Zahllose Fabriken gehen in Flammen auf und Nazis werden auf offener Strasse ermordet. Die dänische Regierung hat zunehmend Mühe, die Balance zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und den Forderungen der Besatzungsmacht zu halten. Mit dem grossen Generalstreik am 29. August 1943 verliert sie definitiv die Kontrolle über das Volk – und die Deutschen ihre Geduld. Die Regierung tritt ab. Von nun an beherrscht ein deutsches Terrorregime die Strassen. Die neue Stimmung macht sich auch im Museum bemerkbar. Die Ausstellung wird hektischer – und die nachgestellten Szenen der Protagonisten dramatischer. Ich treffe auf den laut keuchenden Thorkild, der gerade von der Polizei als Widerstandskämpfer erkannt und fast erschossen wurde. Er hat in einem Hauseingang Unterschlupf gefunden. Und er ist bereit, bis zu seinem Tod Widerstand zu leisten. Mir wird ein regelrechter Geschichtskrimi geboten. Die Ausstellung zieht mich in ihren Bann.
Am Ende steht der Sieg der Alliierten und die Befreiung Dänemarks. Die Widerstandsbewegung, die sich aus diversen Gruppierungen und Individuen zusammensetzt, kann aus der Situation kein politisches Kapital schlagen. Nach dem Krieg kommen wieder die traditionellen zentristischen Parteien an die Macht, die mit Nazideutschland kooperiert hatten und im August 1943 zurücktreten mussten. Im letzten Ausstellungsraum kommen alle Akteure noch einmal zu Wort und erzählen, was nach der Befreiung mit ihnen geschieht. Viele Widerstandskämpfende werden von ihren Traumata bis an ihr Lebensende begleitet. Sie erhalten kaum staatliche Unterstützung und geraten in Vergessenheit. Über den Krieg spricht man nicht mehr.
Das «Museum of Danish Resistance» verfolgt einen klar akteurszentrierten und ereignisgeschichtlichen Ansatz. Die Ausstellung erzählt sich wie ein packender Krimi: Mit Helden, Bösewichten, Morden und Intrigen. Damit trifft sie den Kern der Bedeutung von «Geschichte»: die Erzählung. Durch die aufgebaute Nähe zu den historischen Persönlichkeiten und die gekonnte gestalterische Umsetzung fühlt man sich regelrecht in die damalige Zeit versetzt. Dies trägt zweifellos zu einem besseren Geschichtsverständnis bei. Und mit seinen interaktiven Elementen begeistert das Museum ein breites Publikum. Doch die Themensetzung lässt einen Punkt aus, den wir in unserem Geschichtsbild nur allzu oft vergessen. Die meisten Menschen waren während des Zweiten Weltkriegs weder furchtlose Widerstandskämpfende noch eingefleischte Nazis. Sie zogen sich stillschweigend in ihr Alltagsleben zurück. Diese Menschen lassen sich nicht so leicht in unser bevorzugtes Gedankenmuster von Gut und Böse einteilen. Und ihre Geschichten sowie die ihnen zugrundeliegenden sozialen und kulturellen Strukturen erzählen sich auch nicht wie ein Krimi. Doch deshalb sind sie nicht weniger spannend. Sie könnten die Besuchenden zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema bewegen, indem sie die Frage nach der individuellen Verantwortung in der Gesellschaft aufwerfen würden. Auch diese Geschichten hätten eine eigene Ausstellung redlich verdient.
Literatur:
Dethlefsen, Henrik: Denmark and the German occupation – Cooperation, negotiation or collaboration?, in: Scandinavian Journal of History 15 (1-2), 1990, S. 193-206.