Von Erotik-Stummfilmen zu Pornhub

Poster anzüglich

Pornofilme. Heutzutage frei zugänglich, erreichen sie täglich millionenfach Klicks. Doch wie entstanden die Filme? Und wie haben sie sich seit ihrer Ursprungszeit anfangs des 20. Jahrhunderts verändert?

Ein Dienstmädchen putzt in einem kurzen Kleid ein Zimmer in einer Herberge. Dann hält sie plötzlich inne. Behutsam setzt sie sich auf das Bett, wirft noch einmal einen Blick durch den Raum, bevor sie sich den Staubsauger zwischen die Beine führt. Die Augen geschlossen, legt sie sich nach hinten. Hinter ihr geht ein Vorhang auf, ein Mann erblickt sie, zunächst scheinbar voller Empörung. Er verschwindet kurz und erscheint einige Sekunden später wieder mit einer Frau. Ärger erwartend, steht das Dienstmädchen beschämt auf. Doch anstatt sie zu bestrafen, zieht das Paar sie aus, die Frau beginnt, das Dienstmädchen zu lecken, während diese dem Mann einen bläst. Die nächsten drei Minuten wechseln sie immer wieder Sexpositionen. Auf eine Konstellation folgt die nächste. Dann ist der Film fertig.

Ein klassischer Porno, nichts neues. Und tatsächlich, neu ist daran wirklich nichts, denn das ist die Handlung einer der ältesten erhaltenen expliziten Pornofilme: A L’Ecu d’Or ou la Bonne Auberge, ein französischer vierminütiger Stummfilm von 1908. In den letzten 100 Jahren tat sich an den Handlungssträngen nicht viel. Was die Frage aufwirft, was sich denn seither überhaupt an Pornofilmen verändert hat?

69 in 08

Ein erster Wandel findet sich in den Definitionen. Während der Begriff Hard-Core heute aggressivere sexuelle Akte impliziert, wurden früher jene Filme als Hard-Core bezeichnet, die explizite sexuelle Handlungen darstellen. Soft-Core-Filme hingegen beschränkten sich auf suggestive Tätigkeiten wie Nacktheit vor der Kamera oder die Simulation von Sex.

Soft-Core-Filme, auch Erotikfilme genannt, existieren beinahe seit es Filme gibt. Kaum ein Jahrzehnt nach dem ersten Film 1888 küsste sich bereits ein Paar vor laufender Kamera (The Kiss, 1896) und im gleichen Jahr erschien der erste Erotikfilm: Le Coucher de la Mariée, ein Striptease.

Solch anzügliche Darstellungen waren um die Jahrhundertwende natürlich noch nicht massentauglich. Bereits The Kiss galt als skandalös. Le Coucher de la Mariée wurde vermutlich nicht öffentlich gezeigt, denn Erotikfilme wurden illegal produziert und verbreitet. Bald entwickelten sich daraus die Stags; stumme, one-reel Filme, die bis zu 15 Minuten dauerten und erstmals Hard-Core-Szenen darstellten.

Der Plot blieb dabei meist schlicht. Oft begann der Film mit einer einführenden Szene, wie die des putzenden Dienstmädchens in A L’Ecu d’Or ou la Bonne Auberge, gefolgt von einem Schnitt zum expliziten Inhalt. Der Film zeigt eine Aneinanderreihung an sexuellen Akten, mal in Nah-, mal in Ganzkörperaufnahmen. Die Abbildungen wechselten oft und schnell, beinhalteten, wie im frühen 20. Jahrhundert üblich, viele Szenen von gegenseitigem Oralverkehr – auch in der 69Sexposition –, gefolgt von kurzen Penetrationssequenzen, die in einem abrupten Abbruch des Films ohne sichtbaren Orgasmus einer der beteiligten Personen endeten.

«Bearer of the Phallus»

Der Handlungsstrang war dabei nebensächlich: Stags wurden in Europa meistens in Bordellen und in den USA in «Männerclubs» gezeigt. Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams beschreibt in ihrem Buch Hard Core. Power, Pleasure, and the «Frenzy of the Visible», dass das gemeinsame Anschauen eines Stags für Männer ein verbindendes Gefühl von Männlichkeit ausgelöst habe, die Schaffung eines «gender-based bond with other male spectators».

Im Fall von Bordellen hatte das Zeigen von Stags natürlich auch einen ökonomischen Hintergrund: die Anregung, die Angebote im Bordell zu nutzen. Der Stummfilm sollte dabei nur erregen, nicht abschliessend befriedigen. Aber auch bei den privaten Screenings in Männerclubs war die Befriedigung nicht zentral. Eher ging es um das gemeinsame Entdecken des anderen – und bis zu einem gewissen Grad des eigenen – Geschlechts.

Das Vergnügen der Filme lag laut Williams einerseits im kollektiven Ausdruck des heterosexuellen Verlangens nach den gezeigten Frauenkörpern: «In this pleasure the woman’s body mediates the achievement of masculine identity.» Andererseits kreierte auch die graduelle Identifikation mit dem männlichen Darsteller, dem «bearer of the phallus», ein Gefühl von Besitz der gezeigten Frauen. Auch wenn der Fokus des Films meist auf ihnen lag, waren Frauen trotzdem nie ganz Subjekte in den Stags. Ihre Funktion bestand somit in der Erregung von Männern, ob im Film oder für die Zuschauer. Da der Konsum eines Stags erforderte, auch einem Mann beim Sex zuzuschauen, lag die Entstehung homosexuellen Verlangens nahe. Um dem etwas entgegenzusetzen, wurde in den Filmen die «Andersheit» von Frauen durch deren Penetration mit dem Phallus betont und so potentiell homosexuelles Verlangen zerschlagen. So wurde den Zuschauern versichert, dass der Penis in der Szene ihnen nicht zur Erregung, sondern als Mittel der Besitzeinnahme der Frau diente.

Bis in die 1960er-Jahre blieben die Stags hinsichtlich Filmtechnik und Handlungsablauf grösstenteils unverändert. Dies erklärt sich dadurch, dass in der öffentlichen Sphäre westlicher Länder bis zu den 68er-Protesten beinahe kein Diskurs über Sexualität stattfand. In den konservativen Nachkriegsjahren war die Thematik tabuisiert worden. Sex, der nicht zur Reproduktion diente, galt als obszön. Erst die sexuelle Revolution der 68er-Bewegung und die Legalisierung von Pornografie, in Dänemark bereits 1969, rückte Sexualität ins Rampenlicht – und brachte Pornos in die Kinos.

Deep Throat für die breite Bevölkerung

1969 läutete das sogenannte Golden Age of Porn ein, das bis 1984 dauerte. Mit Zugang zu besseren Kameras und weniger gesetzlichen Hürden versuchten viele Amateure, den ersten Schritt in die Filmwelt mit dem Dreh von Pornos zu wagen. Dabei entstanden Pornos in Spielfilmlänge, mit Handlungssträngen, die sich über den ganzen Film hinweg ausdehnten, und Schauspieler:innen, die durch ihre Rollen einen Star-Status erlangten.

Bestes Beispiel hierfür ist der Film Deep Throat, der bis heute als einer der profitabelsten Filme gilt. Die Handlung ist so einfach wie absurd. Eine Frau, Linda Lovelace, kommt beim Sex nie zum Orgasmus. Verzweifelt sucht sie einen Arzt auf. Der entdeckt, dass sich die Klitoris in ihrem Fall weit hinten im Rachen befindet. Die Lösung für ihr Problem: Deep Throat, das tiefe Einführen des Penis in den Mund oder Rachen bei der Fellatio. (Zu Deep Throat gibt es auf unserem Blog einen ausführlichen Artikel.)

Anders als Stags wurden Pornos wie Deep Throat in kommerziellen Kinos gezeigt, was sie erstmals für die breite Masse und entsprechend auch für Frauen zugänglich machte. Die Filme wurden zwar immer noch als Gruppe geschaut, jedoch zeigten diese neue Art von Pornos in ihrer einstündigen Spielzeit mehrere komplette Sexszenen, von Beginn bis zum sogenannten Money Shot: dem männlichen Samenerguss.

Die Ejakulation, die in dieser Zeit immer sichtbar ausserhalb der Sexpartner:innen gefilmt wurde, symbolisierte das Ende eines sexuellen Akts. Auch in Deep Throat, einem Film, in dem suggeriert wird, dass es um die sexuelle Erfüllung einer Frau geht, beenden Money Shots die jeweiligen Sexszenen. Linda Lovelaces Orgasmus wird zwar durch Glockenspiel, Feuerwerk und Raketen symbolisiert, aber gleichzeitig ejakuliert der Mann. Erst dann wechselt die Szene. Dadurch werden die Zuschauer:innen nicht mehr nur erregt, wie bei den Stags üblich ist, sondern können den Sexakt, inklusive des männlichen Orgasmus, anschauen. Somit sollten die männlichen Zuschauer durch Identifikation mit den männlichen Pornodarstellern ebenfalls befriedigt werden.

Einhergehend mit dem Eintritt in den Mainstream wurden Pornos weitgehend kommerzialisiert. Illegal verteilte Kurzfilme mit anonymen Schauspieler:innen und Regisseur:innen wurden durch eine Industrie aus Stars, die eine immer höhere Frequenz an Filmen produzierten, ersetzt. Dies auch auf Kosten ihrer Darsteller:innen: Linda Lovelace trat Jahre später mit Vorwürfen wegen Missbrauchs vor Gericht. Ihr Mann hätte sie zum Dreh von Pornos gezwungen und schlussendlich das Geld dafür abkassiert. Eine Geschichte, die sich seither unzählige Male wiederholt hat: Die Rentabilität der Pornoindustrie befähigt Ausnutzung und Machtmissbrauch.

Pornos werden zur Privatsache

Auch von den 1970er-Jahren bis heute hat sich weiterhin viel verändert. So besteht ein grosser Unterschied darin, dass pornografische Filme vorwiegend nicht mehr als Gruppe konsumiert werden. Im Verlauf der 70er kamen Adult Video Arcades auf; separate Räume in Sexshops, in denen pornografische Filme durch Münzeinwurf geschaut werden konnten. Der Film spielte jeweils für eine bestimmte Zeit, je nachdem wie viel Geld eingeworfen wurde. Besucher:innen schauten jeweils so lange wie sie Geld hatten und die nachfolgende Person fuhr an der Stelle im Film fort, wo die vorherige Person aufgehört hatte.

In diesen Räumen wurde Masturbation nicht nur toleriert, sondern wurde sogar erwartet. Dies stand ebenfalls in Kontrast zu kommerziellen Kinos, in denen kaum Personen masturbierten. Mit der Isolation des Pornokonsums schien sich auch die Funktion der Pornos zu verändern. Stags wurden gemeinsam von Männergruppen als verbindendes Erlebnis geschaut und dabei wurden sie auch nur erregt und nicht zwingend durch den Film selbst befriedigt, wie es bei den Pornos aus den 70er-Jahren der Fall war. Bei Letzteren wurde durch das Anschauen von mehreren kompletten Sexakten eine Form von Befriedigung erreicht. Durch das Masturbieren während eines Pornos schauen Personen zunehmend nur noch so lange, bis sie zum Orgasmus kommen. Bei den Adult Video Arcades war dies an Ausgaben geknüpft, denn je länger man schaute, desto mehr Geld zahlte man.

Mittlerweile sind Pornos im Internet frei zugänglich. Täglich werden tausende Videos ins Netz gestellt, entweder auf kostenlosen Streaming-Seiten wie Pornhub oder bezahlbare Abo-Services wie Bright Desire. Das Konsumverhalten und die Bedeutung eines Pornos haben sich dadurch nachhaltig verändert. Laut Statistiken von Pornhub verbringen Personen mittlerweile im Schnitt zehn Minuten auf Pornhub, meist spätabends am Handy. Das impliziert, dass Pornos heutzutage grösstenteils alleine und zum Masturbieren bis zum Orgasmus geschaut werden. Entsprechend dienen sie mittlerweile einer persönlichen und privaten Befriedigung. Die Diversität der ins Netz gestellten Videos versichert, dass für jede Art von Fantasie und Fetisch irgendein Video zur Verfügung steht.

Gerade diese Verfügbarkeit ist auch heikel. Durch diese Masse an Videos, die jeden Tag hochgeladen werden, verschwimmen die Linien von Zustimmung und Ausnutzung. Haben alle Parteien in diesem Video eingewilligt, dass es hochgeladen werden kann? Werden die Darsteller:innen gerecht bezahlt? Unter welchen Bedingungen werden die Videos aufgenommen?Für viele dieser Fragen gibt es keine klaren Antworten, weder heute noch vor hundert Jahren. Doch anders als bei den Stags – von denen etwa 2000 zwischen 1907 und 1967 entstanden sind – werden heutzutage jeden einzelnen Tag tausende Videos hochgeladen: Im Jahr 2020 alleine wurden laut Pornhub-Statistics 6.83 Millionen Videos auf ihre Website hochgeladen, das macht circa 18’000 Videos täglich. Und das ist nur eine Website von vielen.

Der heutige Rahmen sprengt also jenen der Vergangenheit komplett und die Industrie ist mittlerweile millionenschwer. Pornofilme sind nicht mehr illegal wie vor hundert Jahren, und meist schauen wir sie auch nicht mehr zusammen in Kinos. Somit haben sich sowohl die Umstände des Konsums als auch die Gründe für den Konsum grösstenteils verändert. Die Dienstmädchen in kurzen Kleidern aber, die gibt es noch.

Literatur:

Williams, Linda: Hard Core. Pleasure Power and «the Frenzy of the Visible», Berkeley 1989.