Eine Rekapitulation der ersten Themenwoche des Historischen Seminars und der Auseinandersetzung mit der Frage, was Widerstand alles bedeuten kann.
«Widerstand ist sexy». Als ich letzte Woche einen Sticker mit diesem Spruch auf dem Laptop eines Studenten kleben sah, war ich zunächst amüsiert. Rückblickend hätte dies auch ein passendes Motto für die Themenwoche des Historischen Seminars sein können. Als ich später herausfand, dass der Aufkleber von Daniel Stricker stammt, einem prominenten Schweizer Corona-Massnahmen- und Impfgegner, dämpfte das meine Begeisterung etwas. Dieser Dämpfer warf neue Fragen auf und brachte mich zum nachdenken. Welche Formen des Widerstand gibt es? Wann wird dieser überhaupt als solcher anerkannt? Wie wird Widerstand an einer institutionalisierten Hochschule vermittelt?
Wenn ich an den Begriff «Widerstand» denke, assoziiere ich ihn spontan mit Wörtern wie Revolution, Umbruch oder Aufstand. Kurz: Etwas «Bedeutendes» machen. Als ich zum ersten mal von der Themenwoche hörte, fragte ich mich, um welche Formen des Widerstands es sich hier drehen wird? Werden auch alltägliche Formen des Widerstands an der Uni thematisiert? Sind es nicht häufig vermeintlich kleinen Handlungen des Widerstand, die im Schatten von Revolutionen und Umbrüchen vergessen gehen?
Widerstand hat verschiedene Gesichter. Er muss nicht zwingend revolutionär sein, sondern kann auch emotional, persönlich, «klein» sein. Der Anfangspunkt oder womöglich auch der Kernpunkt von Widerstand befindet sich folglich für viele im persönlichen bzw. im Alltag. Doch wo beginnt Widerstand konkret? Kann erst bei aktiven Handlungen von Widerstand gesprochen werden oder gibt es auch etwas wie passiven Widerstand? Mit all diesen Fragen startete ich in die Themenwoche «Widerstand», die vom 27. bis 31. März am Historischen Seminar der Universität Zürich stattfand.
Die Themenwoche sollte Auseinandersetzungen mit persönlichen Auffassungen von Widerstand beinhalten, aber auch der Frage nachgehen, ob und wie wir in unserer Gesellschaft Widerstand leisten können und welche Rolle Historiker*innen dabei spielen. Demnach stellt sich bei dem Begriff «Widerstand» auch die Frage nach dem Subjekt, dem Objekt, der Örtlichkeit und dem Zeitpunkt. Verschiedenste Veranstaltungen des Historischen Seminars, wie etwa ein Filmabend mit dem Dokumentarfilm «Züri brännt» von 1980, ein Pub Quiz und eine Podiumsdiskussion sollten Anstösse geben für rege Diskussionen. Auch innerhalb der regulären Lehrveranstaltungen wurde über Widerstand diskutiert und es bestand so die Möglichkeit, als Auditor*in an verschiedenen Modulen teilzunehmen.
Für mich begann die Widerstandswoche mit einem Seminar zur Diskursgeschichte, in welchem wir Texte von Antonio Gramsci und Edward Said besprachen. Wir diskutierten darüber, wie marginalisierte, subalterne Gruppen Widerstand gegen vorherrschende Gesellschaftsschichten leisten können und fragten uns, wie gerade Diskurs eine Plattform für Widerstand sein kann. Weiter ging die Themenwoche für mich mit einem Seminar zur Emotionsgeschichte mit dem Thema der Frauenbewegung in den 1970er Jahren. Wir lernten, dass auch Emotionen politisch sein können und begegneten somit einem weiteren Gesicht, einer weiteren Form von Widerstand. Bezogen auf das Vorurteil der «Emotionalität» weiblicher Personen war es beispielsweise interessant zu beobachten, wie genau diese Stigmatisierung umgedreht und als Widerstandsform benutzt wird.
„Die Widerstandswoche könnte meiner Meinung nach ein gutes Gefäss sein, um die „Community“ der Geschichtsstudierenden etwas fass-, und fühlbarer zu machen. In einem dank Bologna-System mittlerweile sehr isolierten und teilweise einsamen Studiums-Dasein sind solche Veranstaltungen erfrischend. Ich würde es mir für alle zukünftigen Geschichtsstudierenden wünschen, dass solche eine Themenwoche wieder stattfindet.“ – 7. Mastersemester
Nebst der Auseinandersetzung mit Widerstand in den Lehrveranstaltungen boten verschiedene Events die Möglichkeit, weitere Facetten von Widerstand zu betrachten. So auch bei der öffentlichen Podiumsdiskussion, die am Donnerstagabend mit Svenja Goltermann, Zoé Kergomard, Sarah Schober und Anuska Merz als Rednerinnen und Marietta Meier und Livia Merz als Moderatorinnen stattfand. Angesichts des Titels «Geschichtswissenschaft im Widerstand» erwartete ich, endlich konkretere Antworten auf meine Fragen zum Thema «Widerstand» zu erhalten. Zu Beginn der Diskussion wurde die grundlegende Frage nach einer Definition von «Widerstand» aufgeworfen. Dabei diskutierten die Rednerinnen zuerst darüber, was überhaupt als Widerstand gelten kann und was nicht. Dabei wurde die Meinung geäussert, dass Widerspruch, Protest oder Kritik allein noch nicht als Widerstand bezeichnet werden kann. Aber was bleibt dann noch übrig? Muss Widerstand zwingend etwas «Bedeutendes», «Umfassendes» sein?
Auch die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion fragten sich, wie Widerstand heute aufgefasst wird, denn historisch gesehen wurde Widerstand oft auch in einem negativen Licht gesehen. Die Rednerinnen debattierten ausserdem über die Fragen, ob die heutige Geschichtswissenschaft Formen von Widerstand beinhalte und ob es überhaupt die Aufgabe der Geschichtswissenschaft sei Widerstand zu leisten. Oder sollte sich die Geschichtswissenschaft darauf beschränken Wissenschaft zu betreiben? Ein Konsens wurde dabei allerdings nicht erreicht. Einig waren die Diskutierenden sich aber, dass es eine wichtige Aufgabe der Geschichtswissenschaft sei, Narrative zu dekonstruieren und nicht aktiven Widerstand zu leisten. So wurde die Diskussion mit der offenen Frage geschlossen, ob die Möglichkeit der Geschichtswissenschaft, Räume zu öffnen und Narrative zu erschaffen und zu dekonstruieren nicht auch im Kontext von aktivistischen Gruppen ihren Teil zu Widerstand beitragen kann.
Nun da wir am Ende der Themenwoche angekommen waren musste ich feststellen, dass die zu Beginn aufgeworfenen Fragen nicht wirklich beantwortet werden konnten. Vielleicht hatte ich mir ein etwas konkreteres Fazit bei der Podiumsdiskussion erhofft? Denn der Fokus der Podiumsdiskussion lag nicht bei der Frage, wer und wie in der Geschichtswissenschaft konkret Widerstand leistet und leisten kann, sondern mehr bei einer Abstraktion des Begriffes «Widerstand». Nun, vielleicht war das gar nicht das Ziel der Themenwoche, sondern vielmehr «die Stärkung des fachlichen Austausches und des Zusammengehörigkeitsgefühls am Seminar» (Zitat: Historisches Seminar). Diesen Anspruch hat die Themenwoche für mich auf jeden Fall erfüllt, jedoch eher durch Diskussionen mit Mitstudierenden beim Zmittag oder während den Pausen als bei der eigentlichen Podiumsdiskussion. Eine Auseinandersetzung des Historischen Seminars mit seiner Rolle oder Haltung zum Thema Widerstand fand leider auch nicht wirklich statt. Symbolischer Widerstand durch die Studierendenschaft (z.B. durch das Aufhängen einer Antifa-Flagge in der Oase oder das Hinterlassen von farbigen Handabdrücken) wurde wenig positiv aufgenommen.
„Die Widerstandswoche ging leider an mir vorbei. Das nehme ich auf meinen Hut. Richtig gut dafür das Thema, ich mein: VIVE LA RESISTANCE! Doch umso mehr ärgere ich mich, ab dem, was von dem ganzen Aufwand am augenscheinlichsten hängen bleibt: Ein paar bunte Hände, die der Oase und dem Thema jetzt ihren unwiderstehlichen Anstrich verleihen, mich aber nur an Zeiten erinnern, wo meine grössten Sorgen Paninibildli und der Safranrisotto zum Mittagessen waren. So viel zum Thema Widerstand.“ – 4. Mastersemester
Und nun? Was bleibt von der ganzen Auseinandersetzung mit «Widerstand»? Wie es scheint, dass die Studierendenschaft die Dinge lieber selbst in die Hand nimmt: In den letzten Woche fielen an der Universität diverse Protestaktionen auf, unteranderem bei der Eröffnung des neuen Vicafé Standorts an der Universität Zürich und bei einer feministischen Besetzung eines Hörsaals. Auch wenn sich über die Formen von Widerstand diskutieren lässt, wirken diese letztlich doch deutlich glaubwürdiger, als wenn das nach wie vor in Stände aufgeteilte Historisches Seminar zur „Widerstandswoche“ lädt.