Arbeit und Studium finden für viele gerade ausschliesslich in den eigenen vier Wänden statt. Dabei unverzichtbar sind Videomeetings und Cloudlösungen – und für Schweizer Hochschulen insbesondere das IT-Urgestein OLAT. Was kaum jemand weiss: OLAT wurde von Studierenden entwickelt. Ein Gastbeitrag von zwei angehenden Erziehungswissenschaftlern.
Stell dir vor, es ist 1999. Der Windowshintergrund ist dunkelgrün, und um die Screentime am Familien-Desktop musst du mit deinen Geschwistern kämpfen. Informatik, dein Studienfach, ist eigentlich gar kein eigenes Fach: Es wird nur als Nebenfach „Wirtschaftsinformatik“ angeboten. Und du musst feststellen: Das Tutorat zu deiner Veranstaltung ist heillos überfüllt. Hunderte Studierende haben sich angemeldet. Und wie soll man bitte 1’000 Studierende in einen Seminarraum kriegen? Oder ihnen wenigstens die Übungen zur Verfügung stellen?
Profs und Universität sind überfordert. Die Lösung kommt 1999 von den Tutor*innen, die dich und deine Kommiliton*innen betreuen sollen: Sie schlagen vor, Lernmaterialien online zur Verfügung zu stellen, damit die Studierenden trotz des Platzproblems die Gelegenheit bekommen, zu lernen.
Diese Idee fand beim Professor der Studierenden Anklang – und die Informatikbegeisterung der 1990er Jahre gab ihr den nötigen Auftrieb. Um die Übungen online platzieren zu können, entwickelten die Tutor*innen Florian Gnägi, Franziska Schneider und Sabina Jeger innerhalb eines Semesters die Plattform ‘Online Learning And Training’, kurz OLAT.
Die Bedingungen standen gut. Das Team hatte eine Aufgabe, es gab offensichtlich eine Nachfrage und die Finanzierung stimmte. Kurz: OLAT konnte fortbestehen. Besonders der Gewinn des mit umgerechnet 110 000 Franken vergüteten mediendidaktischen Hochschulpreises – dem „MeDiDa Prix“ – verhalf dem Team im September 2000 zu weiterer finanzieller Unterstützung. Und nicht nur das. OLAT erhielt durch den Preisgewinn auch die Aufmerksamkeit zahlreicher Universitäten im deutschsprachigen Raum, was dazu führte, dass nun auch weitere an der Tutor*innen-Lösung interessiert war: Das Careum, die Uni Basel und die Uni Luzern sprangen bald auf den OLAT-Zug auf. Offenbar hatte man ein über die Universität Zürich hinausgehendes Bedürfnis erkannt.
Der schweiz- und gar weltweite Wunsch von Hochschulen, digitale Lösungen für ihr Platzproblem zu finden, verdeutlichte sich auch im zeitgleichen Aufkommen unterschiedlicher Lernmanagementsysteme (LMS) weltweit (Abb. 1). Das Prinzip von OLAT und Co. ist eigentlich simpel: Aufträge, die online erledigt werden, erfordern keine Räumlichkeiten. Tutorate konnten rein digital besucht werden. So stellte die Digitalisierung einfach eine Erweiterung des Hochschulraums auf das Internet dar. Und da OLAT auch Verwaltungstools anbot, wurden gleichzeitig die Sekretariate entlastet. Der Aufwand pro Student*in sank, und eine grössere Anzahl an Personen konnte studieren.
Aber halt! Warum sollte das Tool der Tutor*innen plötzlich der Verwaltung der Universität dienen? Immerhin wurde OLAT als Grundlage für die Informatik-Kurse etabliert. Allerdings kam bald Interesse anderer Institute auf, was dafür sprach, OLAT zu institutionalisieren.
Da die Tutor*innen weiterhin auch selbst am Studieren waren, konnten sie sich nicht nur auf die Entwicklung von OLAT konzentrieren. Schliesslich übergaben die Tutor*innen 2004 den OLAT-Code der Universität Zürich, da sie ihn dort am richtigen Ort sahen – übrigens entgegen der Präferenzen des Lehrstuhls für Informatik. Das Informatik-Institut, so die Tutor*innen, sei immerhin nicht für gesamtuniversitäre Verwaltungsaufgaben zuständig. Die Mitarbeitenden wurden somit zu den zentralen Diensten verlagert.
Je weiter das Wachstum von OLAT fortschritt, desto stärker nahm die Universität Einfluss auf die Entwicklung. Sie stellte Räume zur Verfügung, bezahlte die Tutor*innen ab 2004 als Angestellte für die Weiterentwicklung und baute ein Team aus Entwickler*innen auf. So lenkte die Institution kreative Energie in die für sie richtigen Bahnen.
Einige Jahre lang funktionierte das gut, die Entwicklung schritt voran, immer mehr Institute der UZH und bald auch anderer Hochschulen verwendeten OLAT. Zwar wurden im Raum Zürich auch Konkurrenzprodukte erwogen, WebCT und später auch Moodle waren verfügbar, wurden aber nicht verwendet, da es universitätsinterne Vorbehalte gegenüber Produkten von gewinnorientierten Unternehmen gab. Schliesslich wurde das eigene Produkt den internationalen Alternativen endgültig vorgezogen, indem die Modulbuchung in OLAT integriert wurde. Der Einschreibevorgang führte nun automatisch zu einer Mitgliedschaft im OLAT Kurs, was eine Vereinfachung für die Verwaltung darstellte und OLAT einen höheren Stellenwert zusprach.
Alles schien sich gut zu entwickeln. Irgendwann geschah jedoch auch OLAT, was jeder guten WG irgendwann geschieht. Ansprüche verändern sich, die Beteiligten möchten dann doch mal irgendwann etwas Neues machen und die gemeinschaftliche Gemütlichkeit liegt auch nicht allen: man sucht sich also eine eigene Bleibe. Die Tutor*innen lösten sich immer stärker von der Universität Zürich, sie mochten nicht für immer dort wirken und hegten das Bedürfnis, eigene Wege zu gehen.
Dieses Gefühl bei den Tutor*innen wurde bestärkt dadurch, dass die universitären Entwickler*innen eine andere Richtung einschlugen als die Studis: „Wir wollten innovativer sein als die Leute, die unter der universitären Leitung zum Team stiessen“, erinnert sich einer der Tutor*innen im Gespräch. Eine der ursprünglichen Studi-Entwickler*innen blieb der Universität erhalten: Franziska Schneider ist heute Leiterin der Multimedia & E-Learning-Services. Andere machten sich selbstständig und entwickelten ein kommerzielles Spin-Off von OLAT, welches bis heute unter dem Namen OpenOlat von der Firma frentix weiterentwickelt wird.
Die Gründe dafür, dass sich OLAT durchsetzen konnte, sind vielfältig. Zum einen hatte OLAT bei der Universität Zürich einen Vertrauensvorsprung. Zum anderen war die Universität Zürich durch die Übergabe des Codes durch die Studierenden bereits im Besitz eines LMS. So lag es nahe, das hauseigene System zu verwenden. Und schliesslich wurde OLAT akkreditiert, weil nicht nur die Uni Zürich das System verwendete, sondern weil die Software eben auch schnell den hochdotierten MeDiDa-Prix gewonnen hatte. Diese Akkreditierung sicherte OLAT schliesslich den Status eines etablierten LMS in der Schweizer Hochschullandschaft.
Die Entwicklung von OLAT ist keine klassische Erfolgsgeschichte von jungen, kreativen Köpfen, die neben dem Studium eine Softwarefirma in der Garage ihrer Eltern gründen. OLAT wurde durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren möglich: Natürlich durch engagierte Studierende, aber eben auch durch die tatkräftige Unterstützung der Universität und nicht zuletzt durch einen Zeitgeist, der in der Dotcom Blase resultierte und den wilden Westen im Internet feierte. Heute nennen wir diese Entwicklung Digitalisierung. Nur dank dieser Konstellation konnte OLAT werden, was es heute ist: Ein für das Funktionieren der Universität Zürich immer noch unerlässliches Programm.