1971: Endlich Frauenstimmrecht! Oder? Die etü-Redaktion fragte für die letzte Ausgabe bei Grossmüttern, Grossvätern, Eltern und Bekannten nach, wie sie die Abstimmung erlebt haben. Und war überrascht: Was wir dieses Jahr als eine der wichtigsten Errungenschaften des letzten Jahrhunderts feiern, wurde damals von vielen ganz und gar nicht als historisches Ereignis wahrgenommen.
Aufgezeichnet von Mira Imhof
Ich engagierte mich nicht besonders, in einem Frauenverein des Dorfes oder so. Da waren vor allem meine Schwägerinnen aktiv und ich wollte denen nicht in die Quere kommen. In den Augen der Familie meines Mannes war ich links und das kam nicht gerade gut an. Für meinen Vater war hingegen sonnenklar, dass die Frauen endlich stimmen können sollen. Wieso ausgerechnet die Frauen nicht?
Aber eben, die Familie meines Mannes sah das anders. Einmal waren wir dort eingeladen zum Kaffeetrinken, dein Grossvater und ich. Wir waren damals noch nicht lange zusammen. Irgendwann, als es darum ging, ob die Frauen das Stimmrecht haben sollten, sagte ich: «Das ist doch klar, es ist ja höchste Zeit!» Da merkte ich, wie es plötzlich still wurde, wie auch meine kaffeetrinkenden Schwägerinnen und die Schwiegermutter in ein betretenes Schweigen verfielen. Da verstand ich, dass ich nicht so zu referieren brauchte, dass die gar nicht meiner Meinung waren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer gedacht, das sei auch für sie selbstverständlich. Und ab da habe ich mich stillgehalten.
Die Leute dieser Familie waren einfach der Meinung, dass alles rot werde, sobald die Frauen stimmen gingen. Dass die Linken übernehmen würden. Mein Mann stand dem Frauenstimmrecht auch eher ablehnend gegenüber. Er äusserte sich nicht weiter dazu, das interessierte ihn eigentlich nicht. Als ich mich doch einmal politisch für ein Frauenanliegen engagieren wollte, da hat er klar gesagt, dass er das nicht will. Aber als ich dann endlich stimmen konnte, habe ich das getan. Und er hat es akzeptiert.
Aufgezeichnet von Christina Nanz
Es war überraschend für mich, dass die Frauen das jetzt wollten. Im privaten Kreis dachten wir nie, dass es nötig sei, das Frauenstimmrecht einzuführen. Vor allem die Überlegung, die Frauen würden ungerecht behandelt und hätten zu wenig Macht – da war ich wie vor den Kopf gestossen. Weil die Männer, die das Stimm- und Wahlrecht hatten, das nicht als Machtausübung oder als Frage der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit angesehen haben. Also ich wenigstens. Ich habe es so aufgefasst, dass es die Pflicht der Männer ist, das öffentliche Leben zu organisieren. Die Frauen hatten eher die Hintergrundpflichten. Gerade Frauen, die schnell in das öffentliche Leben treten wollten, konnten die Kinder dann nicht mehr so umsorgen und erziehen wie früher. Meiner Meinung nach hat eine gewisse Nivellierung des Familienlebens stattgefunden. Später, als gewisse Kantone die Frauen immer noch nicht haben stimmen lassen, wurde es natürlich schon eine Frage der Gerechtigkeit. Ich weiss nicht mehr, was ich gestimmt habe, aber wohl kaum dagegen. Im Nachhinein sieht man ja, wie gut das rausgekommen ist.
Das ist auch, was mich so beschäftigt hat, als das aufgekommen ist mit dem Frauenstimmrecht. Ich bin eine ziemlich apolitische Frau, und damals genau aus dem Grund, weil die Kinder noch klein waren und ich ganz für sie da sein wollte. Ich dachte: Gut, die Frauen, die das machen wollen, sollen das ruhig machen. Ich habe mich nicht dagegen gesträubt. Ich war jedoch nicht bereit, meine Kraft da einzusetzen. Und ich glaube damals hat es sich für uns gelohnt, dass unsere beiden Buben in einer guten Atmosphäre, in einem geregelten Haushalt waren. Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir Frauen zu kurz kommen. Ich hielt das, was ich machte für vollwertig. Ich war in meiner kleinen, glücklichen Welt in Niederglatt, auf dem Bauerndorf in dieser Abgeschiedenheit. Jetzt ist es natürlich sonnenklar und ich bin froh um diese Durchmischung – dass nicht nur die Männer das Sagen haben.
Aufgezeichnet von Leonie Rohner
An dieses Ereignis kann ich mich gar nicht erinnern, das ging völlig an mir vorbei. Ich hatte zu dieser Zeit gerade meine Lehre abgeschlossen und war auf Stellensuche – war also mit viel anderem beschäftigt. Solche Themen waren aber auch in der Schule nie ein Thema gewesen. Wir wohnten auf dem Land, wo das sowieso nicht so präsent war. Es lag aber auch daran, dass meine Mutter nicht politisch war. Sie hatte gar keine Zeit, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Sie arbeitete sechs Tage in der Woche und zuhause machte sie den Haushalt. Von meinem Vater war sie geschieden, seit ich neun Jahre alt war. So konnte es keine Gespräche zwischen den Eltern geben, die sich um solche Sachen gedreht hätten. Auch über Medien erfuhren wir nicht, was vor sich ging: Wir hatten weder ein Radio noch Zeitungen zuhause. Woher sollten diese Informationen überhaupt kommen? Als wir dann das Stimmrecht hatten, habe ich schon abgestimmt, aber anfangs nicht regelmässig. Erst später, unter anderem durch Gespräche mit deinem Vater, fing ich an, mich politisch zu engagieren.
Aufgezeichnet von Elena D’Amato
1959 habe ich einfach meinem Stimmzettel ausgefüllt und zuhause gesagt, ich gehe jetzt ins Stimmlokal. Dann hat meine Mutter gesagt: «Aber nöd, dass mer dänn Ja stimmsch!» Sie war ganz energisch. Sie war überzeugt, dass es für die Frauen nicht gut sei, in diesem «Drecksgeschäft der Politik» mitzumachen. Trotzdem war sie Präsidentin eines Frauenvereins. Das war vor dem eigentlichen Sozialstaat, es gab also noch ziemlich viele Leute, die man privat unterstützen musste. Aber der Frauenverein war eben eine private Angelegenheit. Sie hatte einen gemeinnützigen und nicht einen politischen Kanal – wie viele andere Frauen auch. Meine Grossmutter beispielsweise, hat mit ein paar anderen Frauen zusammen ein ganzes Spital mitgestiftet. Man dachte damals, dass der humanitäre Bereich den Frauen zustand. Das lief nicht übers Parlament, die Regierung und das Gesetz, sondern über Stiftungen und freiwillige Helferinnen.
In meinem Umfeld hatte ich natürlich Freundinnen, die alle dafür waren. Unter Männern haben wir nicht gross darüber gesprochen. Aber ich habe Ja gestimmt, weil ich immer der Meinung war, Frauen sollten nicht als Bürger zweiter Klasse existieren. Sowohl in Rechten als in Pflichten, gell! Sie mussten ja schliesslich auch Steuern zahlen.
Aufgezeichnet von Sophia Bosshard
Richard: An den Abstimmungssonntag zum Frauenstimmrecht erinnern wir uns noch gut. Mitten in der Nacht auf den Montag läutete auf einmal das Gemeindeglöckchen, das normalerweise Beginn und Ende des Arbeitstages ankündigte. Da war für uns klar: Jetzt wurde es angenommen! Das war eine grosse Freude. Das Frauenstimmrecht war für uns eine Selbstverständlichkeit.
Verena: Und trotzdem beschäftigte mich das Frauenstimmrecht damals überraschend wenig. In meinem Elternhaus hatte man kaum über Politik gesprochen. Was mich als junge Frau viel mehr beschäftigte, war das damalige Ehe- und Familienrecht. Die Männer durften den Frauen verbieten, arbeiten zu gehen. Meine Mutter etwa arbeitete 12 Jahre lang auf dem familieneigenen Hof, der danach von ihrem Bruder allein übernommen wurde. Sie selber hatte keine Ausbildung machen können. Ich könnte dir jetzt auch unser Familiengeschirr zeigen und die Tasse mit der Aufschrift «dem Hausherrn». Eine Tasse, die «der Hausfrau» gewidmet gewesen wäre, gibt es natürlich nicht. Es war also das fehlende Mitspracherecht in der Familie, das mich hauptsächlich störte. Erst als ich von der Stadt in eine kleine Gemeinde zog, stiess ich mich daran, politisch nicht mitbestimmen zu dürfen und dennoch Steuern zahlen zu müssen.
Richard: An der Gemeindeversammlung wurde einst über die Einführung des Frauenstimmrechts auf Gemeindeebene diskutiert. Ich ging damals enttäuscht und ernüchtert nach Hause – da hatten Männer dagegen argumentiert, von denen ich das niemals erwartet hätte. Ich selber habe keine einzige Abstimmung verpasst. Das liegt wohl auch daran, dass ich jeweils schon als kleiner Bub meinen Vater ins Stimmlokal hatte begleiten dürfen.
Verena: Da fängts schon an! Ich als kleines Mädchen hatte an den Abstimmungstagen jeweils auf dem Schulhausplatz warten müssen, bis der Vater zurückkam. Mit ins Stimmlokal durfte ich nicht.
Richard: Übrigens: Am Dienstag nach der Abstimmung 1971 wurde uns dann gesagt, dass das bimmelnde Gemeindeglöckchen nichts mit der Abstimmung zu tun gehabt hatte. Der Glöckner hatte sich einfach mit der Zeit vertan und vier Stunden zu früh geläutet. Er hatte am Abend zuvor wahrscheinlich ein, zwei Bier zu viel getrunken.
Aufgezeichnet von Carmen Bortolin
Für mich war das Ganze nie wirklich wichtig. In Italien durfte ich schon lange wählen. Ich ging auch zu jeder Wahl nach Italien. Hier habe ich natürlich auch ab und zu mit den Frauen im Geschäft darüber geredet. Sie wollten, dass ich irgendein Formular unterschreibe. Sie kamen immer: «Frau Bortolin, Frau Bortolin, unterschreiben Sie doch!» Aber ich durfte ja nicht, ich bin keine Schweizer Bürgerin. Also habe ich immer gesagt: «Nein, nein. Ich kann nicht. Meine Unterschrift ist nicht gültig.» Meine Schwester hat es unterschrieben, das war lustig. Später wurden die Unterschriften kontrolliert und man sagte ihr, sie dürfe das nicht. Sie hat einfach mit den Schultern gezuckt. Ich glaube, sie hat nicht gewusst, was sie unterschrieben hatte.
Aufgezeichnet von Carla Burkhard
Ändlich! Bei uns war es so: Als es darum ging, ob Frauen das Stimmrecht erhalten sollten, meinte meine Schwiegermutter, das brauche sie nicht. In der Familie meines Ehemanns stand ich mit meiner Meinung schräg da, wir kamen immer ein wenig in einen Klinsch mit seiner Familie. Es gab viele Gemeinden, die so dachten. Auch in unserer Familie sprach man nicht darüber.
Mit meinem Mann haben wir ebenfalls nicht darüber gesprochen. Da hatten unsere Kinder kein gutes Vorbild. Ja, die Armä! Aber es wäre extrem wichtig gewesen, denn so lernt man andere Meinungen zu akzeptieren. Das hat uns völlig gefehlt. Ich weiss nicht, wie mein Mann abgestimmt hat. Zu seiner Ehre: Ich denke, er hat Ja gestimmt. Aber todsicher kann ich dir das nicht sagen.
An meine erste Abstimmung kann ich mich nicht erinnern, das ist eigentlich verrückt! Aber ich ging sicher wählen. Im ganzen familiären Gestürm, stach so etwas nicht hervor. Man hat es einfach gemacht, so nebenbei. Ich habe immer abgestimmt, seit ich es kann – ausser einem einzigen Mal. Ich habe immer selbst gedacht und mich nie einer Parteilinie untergeordnet.